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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Descartes für diese Mistdinger auf ewig verflucht. Mein Vater kann alles und jedes vektoriell berechnen, ob es sich nun um das Ulmensterben, einen Sonnenaufgang oder das Öffnen einer Dose Bohnen handelt. Eine Kurvendiskussion führen, eine Gleichung wie 4X = (x2 – y2) in ein Koordinatensystem übertragen und andere kabbalistische Künste werden für mich ein ewiges Mysterium bleiben.
    Dennoch bedeutete es für mich ein Durchbruch, sowohl im Hinblick darauf, daß ich für die O-Level-Prüfung in Mathematik gerüstet war, als auch im Hinblick auf die Beziehung zu meinem Vater. Dauerhaft war dieser Durchbruch insofern, als ich ihn danach nie wieder haßte (zwar weiter fürchtete, aber nie haßte), wenngleich man andererseits nur von einem vorübergehenden Durchbruch sprechen konnte, da sich an meiner Situation nichts geändert hatte, als ich zum Sommer an die Schule zurückkehrte. Matthew Osborne wandelte nach wie vor auf diesem Planeten, beschäftigte mich in fast jeder wachen Sekunde und blickte mich aus jedem Baum, jedem Sonnenaufgang und jedem Mauerziegel an. Mein Vater war ein so brillanter Lehrer gewesen, daß er in mir ein Feuer geweckt hatte, das mit Mathematik selbst nichts zu tun hatte und von mir unter anderem dazu benutzt wurde, die Leidenschaft für meine größte Liebe, die Dichtung, neu zu entflammen. Ich machte mir jetzt weniger aus Romanen (es sei denn, sie handelten von Liebesgeschichten wie meiner eigenen), was nur allzu berechtigt war, denn während der Roman eine Erfindung der Erwachsenen ist, wendet sich das Gedicht an alle, auch wenn es gerade von jungen Menschen besonders geschätzt wird. Fast alle, die sich für Literatur begeistern, lassen als Erwachsene von der Lyrik ab und wenden sich dem Roman zu. Dabei ist die Überzeugung, der auch ich zwischen zwanzig und dreißig nachhing, John Keats etwa sei ausschließlich etwas für mondsüchtigeTeenager, genauso einfältig und dumm wie zu behaupten, Erwachsene sollten nicht Fahrrad fahren. Im Grunde ist sie sogar noch weitaus dümmer. Ein Gedichtband von John Keats mag zwar in der Gesäßtasche eines auf sein Ansehen bedachten Studenten weit weniger hermachen als ein Paperback von Beckett, Bellow oder Musil, doch wird seine Größe von der Ignoranz irgendwelcher Jungintellektueller nicht im geringsten angekratzt. Man wächst aus dem Alter für Keats genausowenig hinaus, wie man irgendwann über das Atmen hinauswachsen könnte.
    Doch ich verliere mal wieder den Faden. Eigentlich wollte ich auf etwas ganz anderes hinaus, nämlich auf die Tatsache, daß die Art, in der mein Vater mich unterrichtet hatte, in mir eine Leidenschaft für den Prozeß selbst geweckt hatte. Ich glaube nicht, daß er sich je zuvor als Lehrer versucht hatte, aber mehr noch, als daß er mir in Mathematik auf die Sprünge half, lernte ich durch ihn, wie man jemandem etwas beibringt. Ich war von meinen eigenen Fortschritten so fasziniert, daß ich mich für das Lernen selbst weit mehr begeistern konnte als für dessen Inhalt. Möglicherweise (das heißt, ganz bestimmt) hing auch dies wieder mit Matthew zusammen. Ich stellte mir vor, seinen Geist in ähnlicher Weise anzustoßen. Nicht, weil ich dafür bewundert werden oder seine Zuneigung gewinnen wollte, sondern einzig aus Lust an der Sache, aus Liebe zu Matthew, vergleichbar mit der Liebe eines Gärtners, der seine Saat aufgehen und wachsen sieht. Ich zweifle nicht daran, daß auch mein Vater bei aller pragmatischen Nüchternheit eines Sherlock Holmes ebenfalls aus Liebe handelte, seiner Liebe zu Ideen und seiner Liebe zu mir. Auch Eigenliebe mochte im Spiel sein, aber Eigenliebe ist die Voraussetzung für alle anderen Formen der Liebe. Schließlich läßt sich amour propre auch als proper love , also wirkliche Liebe, übersetzen.
    Mein Vater war davon ausgegangen, das Denken selbst bereite mir Probleme, und genau das hatte er mir zu zeigen versucht.Und auch hier hatte sich das Zeigen als weit effektiver als ein bloßes Belehren erwiesen. Er wußte, daß ich ein angeborenes Talent zur Nachahmung besaß, sowohl intellektuell wie auch als Stimmenimitator und Komiker, aber er wußte auch, daß Nachahmung nicht das gleiche wie Verstand ist.
    Ich hatte eine ganze Reihe guter Lehrer. Mein Englischlehrer in der Prep School, Chris Coley, hatte im Unterricht über Ted Hughes, Thom Gunn, Charles Causley und Seamus Heaney gesprochen und so schon früh meine Liebe zur Lyrik geweckt. Sein Vorgänger Burchall stand mehr auf Kipling als auf

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