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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Uppingham zurückkehrte, war ich geübter im Rechnen, hatte den Kopf voller neuer Ideen und ein tieferes Verständnis von Ideen, ohne allerdings ein grundlegend geläuterter Mensch zu sein. Gedemütigt fühlte ich mich allein durch die Scham und Schande, daß man mich als Dieb überführt hatte, doch wie Frowde mir schon damals prophezeit hatte, sind Jungen alles andere als nachtragend, und tatsächlich wurde das Thema von allen auf die taktvollste Art behandelt, als sei ich das Opfer einer unheilvollen Krankheit geworden, ganz so wie die Bewohner von Samuel Butlers Erewhon ihre Kriminellen behandeln. Zudem befand ich mich in meiner vermutlich stärksten Wachstumsphase und hatte das Gefühl, jede Wocheum mindestens einen Zentimeter in die Höhe zu schießen. Die Pubertät meldete sich jetzt mit aller Gewalt, wie um verlorene Zeit aufzuholen. Gott sei Dank verwandelte mein Gesicht sich nicht in einen Streuselkuchen, aber meine Haare wurden glatter und feiner, und unter dem trüben Schleier meines Blicks regte sich der seltsame Glanz der Adoleszenz. Eben jener Blick, der aufmerksam die Welt betrachtet, dabei aber die Blicke der anderen scheut.
    Das Sommersemester war Matthews große Zeit, denn es war Cricket-Saison. Ich konnte mich nie für den Sommer erwärmen, weil er heiß und stickig war und mein Asthma verschlimmerte. Er war zwar hübsch anzusehen, aber er biß und stach. Ich hatte eine Mordsangst vor Insekten, ganz besonders vor Motten, schuppigen Monstern, die durchs offene Fenster geschwirrt kamen und die Glühbirne umflatterten, wenn ich im Bett lag und las. Hatte ich eine Motte im Zimmer, war es mit aller Ruhe und Entspannung vorbei. Schmetterlinge am Tag waren okay, aber vor Motten ekelte und fürchtete ich mich.
    Matthew zuliebe begann ich sogar, mich für Cricket zu interessieren, allein in der Aussicht, mit ihm auf einem Feld stehen zu dürfen oder über Brian Close, Hampshires Chancen auf den Gillette-Cup und andere Cricket-Arkana fachsimpeln zu können.
    Matthew und Cricket sind in meinem Kopf so eng verknüpft, daß meine augenblickliche Leidenschaft für das Spiel nur durch ihn zu erklären ist. Während ich dies schreibe, sieht es so aus, als ob Australien in Trent Bridge gewinnt (am heutigen Samstag wird die fünfte Runde ausgetragen), und kaum einer mag sich vorstellen, welche Überwindung es mich kostet, nicht vor den Fernseher zu hocken oder Radio zu hören – pardon , Mr. Burchall, ich wollte natürlich Rundfunkgerät sagen.
    Vom gesamten Sommersemester gibt es nichts weiter zu erzählen als die Geschichte einer flüchtigen körperlichenErfüllung zwischen mir und Matthew. Erfüllung ist vielleicht nicht das richtige Wort: Es handelte sich weder um eine Bekräftigung oder Besiegelung unserer Freundschaft noch um deren Bereicherung oder Verewigung. Im Grunde war es nicht mehr als eine kurze, wohltuende sexuelle Begegnung zwischen zwei Freunden (aus Matthews Sicht). Zumindest kann ich sagen, daß sie unsere Beziehung nicht zerstörte oder meine Gefühle für Matthew veränderte. Sie bestärkte sie aber auch nicht, denn um Sex, wie ich schon sagte, ging es mir bei Matthew am allerwenigsten. Wenn ich genauer darüber nachdenke, weiß ich gar nicht, ob es in der Liebe überhaupt um irgend etwas geht, und gerade das macht sie so einzigartig. Sex dient der Entspannung oder auch der Fortpflanzung, aber die Liebe ist wie alle Kunst, wie Oscar sagte, völlig nutzlos. Dabei sind es die nutzlosen Dinge, die das Leben lebenswert und gefährlich machen: Wein, Liebe, Kunst, Schönheit. Ohne sie wäre das Leben zweifellos sicherer, aber auch sterbenslangweilig.
    Es passierte nach einem »net«, wie wir Cricketspieler ein Trainingsspiel nennen. Matthew hatte mich gefragt, ob ich mit ihm Würfe üben wolle. Seine eigentliche Stärke war das Schlagen, aber manchmal spielte er auch auf der Werferposition. Er schlug und warf mit links, und seine neueste Entdeckung war der wrist spin , was bedeutete, daß er an der besonderen Wurftechnik des chinaman feilte. Ich war ein viel zu miserabler Schläger, um mit irgendwelchen angeschnittenen Bällen zurechtzukommen. Jeder noch so lahme Wurf über eine weitere Distanz brachte mich in arge Schwierigkeiten, aber ich war glücklich über seine Bitte (tatsächlich hatte ich mich den ganzen Nachmittag am Spielfeld herumgetrieben und die anderen, vornehmlich seinen Bruder, zwischendurch aber auch Matthew, mit meinen Witzen unterhalten, um genau das zu erreichen) und gab mein

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