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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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seit vielen Jahren Mitglied dieser harmlosen kauzigen Brüderschaft. Lange Zeit war ich das jüngste Mitglied in ihren Reihen, aber mittlerweile hatte irgendein rotznäsiger kleiner Fatzke mir diesen Ehrentitel weggeschnappt. Die Organisation lag in Händen exzentrischerMänner wie Lord Gore-Booth, dem Präsidenten, der sich jedes Jahr wie Holmes verkleidete, wenn die Gesellschaft in die Schweiz reiste, um dort die letzte, tödliche Auseinandersetzung zwischen Moriraty und Holmes am Reichenbach-Fall nachzustellen. Gore-Booths bezaubernde Tochter Celia, die viel zu früh verstarb (ich glaube zumindest, sie war die Tochter und nicht seine Nichte), lernte ich viele Jahre später als Mitglied jener großartigen Schauspieltruppe mit dem ziemlich verwegenen Namen Theatre de Complicite kennen.
    Eine weitere zentrale Figur war der Herausgeber des ›Journal‹, der Marquess oder vielleicht auch Marquis (ich habe leider keinen Debrett’s zur Hand) von Donegal. Im ›Journal‹ erschienen kämpferische Artikel zu allen wichtigen Holmes-Fragen. Außerdem gab es eine Leserbriefseite, die sich »Der Eierlöffel« nannte, zu Ehren jenes Besteckstücks, das Watson am Frühstückstisch ganz zu Anfang ihrer Bekanntschaft ungehalten in Holmes’ Richtung schwenkte und dabei, wenn ich mich recht erinnere, den glorreichen Ausspruch »Unsäglicher Quatsch!« losließ, um seinen Unmut über einen Artikel zu bekunden, der im Endeffekt natürlich von niemand anderem als von Holmes selbst stammte.
    Die Versammlungen fanden gewöhnlich im altehrwürdigen Royal Commonwealth Club in der Villiers Street unweit von Strand statt (wohl deshalb, weil Holmes’ erste Geschichte in ›The Strand Magazine‹ erschienen war).
    Kurzdibumm, wie Red Ryerson in Und täglich grüßt das Murmeltier zu sagen pflegt, Frowde hatte uns erlaubt, an der Zusammenkunft der Gesellschaft am Samstagabend teilzunehmen. Wir hatten uns in einem Hotel am Russell Square Zimmer reserviert und wurden für Montag zurückerwartet, was fast drei Tage London bedeutete.
    Nur kam alles ganz anders, weil wir in einem Anfall von Wahn ins Kino gingen und Uhrwerk Orange , Der Pate und Cabaret wieder und wieder sahen, vier Tage hintereinander. 1972 war ein geradezu göttliches Kinojahr. Natürlich warenalle diese Filme für Jugendliche verboten, aber Jo und ich konnten so gerade für achtzehn durchgehen.
    Ich weiß auch nicht mehr, welcher Teufel uns damals ritt. Es war, als wären wir irgendeiner unkontrollierbaren Macht in die Hände gefallen. Wir konnten uns einfach nicht von den Filmen losreißen. Ich glaube, zwischendurch sahen wir auch vier- oder fünfmal Fritz the Cat , aber aus der Bahn geworfen wurden wir letztlich durch das obengenannte Trio. Zu unserer Verteidigung sei gesagt, daß wir kaum eine bessere Wahl hätten treffen können.
    Ich weiß nicht, ob unsere Eltern dem jeweils anderen Kind die Schuld gaben und alles seinem schlechten Einfluß zuschrieben (ich bin mir nicht einmal sicher, ob meine Eltern Jo überhaupt richtig wahrnahmen), aber für uns beide war klar, daß wir unter einem inneren Zwang gehandelt hatten. Selbst wenn einer von uns zur Schule zurückgekehrt wäre, wäre der andere vermutlich geblieben. Wir waren wie hypnotisiert von dieser gänzlich unbekannten Welt und ihren unendlichen Möglichkeiten. Kunst, Dichtung, Musik, Comedy, Cricket und Liebe hatten mich damals gepackt und tun dies auch heute noch, aber nichts hat mich je so gefesselt wie das Kino. Von Filmen geht eine ganz eigentümliche Kraft aus. Vielleicht hatten wir unsere ganz eigene Form von Rock’n’Roll entdeckt, weder so solipsistisch, tragisch oder vergeistigt wie die Musik noch so egozentrisch und aufdringlich wie Comedy. Ich weiß selbst keine überzeugende Erklärung. Bis zu diesem Augenblick war ich glücklich und zufrieden mit Filmen wie Die Kanonen von Navarone oder James Bond 007 – Man lebt nur zweimal ; jetzt plötzlich schien das Kino wie ich in die Pubertät gekommen zu sein und das wahre Leben darzustellen. Natürlich hatten sich nicht die Filme, sondern ich hatte mich gewandelt, auch wenn es sich unbestritten um Meilensteine der Filmgeschichte handelte, die sich durch einen neuen Stil und eine neue Art der Darstellung auszeichneten. Mit jeder einzelnen Szene des Paten , dievor meinen ungläubigen Augen ablief, von der Hochzeit am Anfang bis zum berühmten Zuziehen der Tür in der Schlußeinstellung, wurde Uppingham School kleiner und kleiner.
    Ich glaube, ich vergaß sogar

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