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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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wir zum Edinburgh-Festival weiterreisten. Uppingham hatte sich durch Chris Richardson zu einer beliebten Anlaufstelle für Comedy-Künstler gemausert. Es hatte damit begonnen, daß Richardson das Bühnenbild für Rowan Atkinsons erste Ein-Mann-Show entworfen hatte. Danach probierte Rowan sein neues Material immer erst in Uppingham aus, und bald darauf auch die Footlights.
    Ich bin seither immer mal wieder zu kleinen Vorträgen und Lesungen dort gewesen, nach dem Motto, unser prominenter Ehemaliger gibt sich die Ehre, aber jedesmal, wenn ich dort auf der Bühne stehe, sehe ich Richard Fawcett wieder als Seyton und dritten Mörder, Tim Montagnon als Banquo, David Gaine in der Rolle des Macduff, vor allem aber Rory Stuart als Macbeth. Wie alle Schauspieler habe ich meinen Text spätestens eine Woche nach der letzten Aufführung vergessen, aber von Macbeth weiß ich noch heute nahezu den kompletten Text, vom ersten »Wann« bis zum letzten »Scone«. Die Geschichte liegt zu weit zurück, um sich an Einzelheiten von Rorys Auftritt zu erinnern, aber ich weiß noch genau, daß ich am Ende seines großen »Wenn es damit getan wäre, wenn es getan ist«-Monologs vor Begeisterung hin und weg war:
    Und Mitleid, wie ein nacktes, neugeborenes Kind Rittlings auf dem Sturm, oder die Cherubim des Himmels, Zu Pferd auf den unsichtbaren Kurieren der Luft, Werden die abscheuliche Tat in jedes Auge blasen, Daß Tränen den Wind ertränken werden.
    Brrrh ... noch heute läuft es mir kalt den Rücken herunter. Gewiß habe ich als Kind Schuld und Angst vor Strafe empfunden, aber doch nie auf so horrende Weise. Leute, die in dunklen Ecken über mich flüsterten, die Seele meines toten Großvaters, der traurig blickende Christus, alle diese Dingehaben mich verfolgt und beschämt, aber nie stellte ich mir die Cherubim des Himmels vor, wie sie die abscheuliche Tat in jedes Auge bliesen, oder Mitleid, wie ein nacktes, neugeborenes Kind, rittlings auf dem Sturm. Herr im Himmel, wo hat dieser Shakespeare das nur alles hergeholt?
    Und doch schickte Nemesis sich an, ihre Röcke zu raffen und zuzuschlagen, und wie bei dieser grausamen Dame so üblich, kam ihr Angriff von einer gänzlich unerwarteten Seite.
    Meine Eltern hatten mir mit ebensoviel Realismus wie Großzügigkeit eingeschärft, daß, wenn ich Geld brauchte, ich zu Mr. Frowde gehen sollte und er mir genügend Vorschuß gewähren würde, um soviel von Mrs. Lanchberrys Spiegeleiern und den Cremeschnitten ihres Mannes zu kaufen, wie ich nur essen konnte. Die Erkenntnis, daß die effizienteste Art, mich vom Stehlen abzuhalten, darin bestand, mir soviel Geld zu geben, wie ich haben wollte, mußte in ihnen mehr als nur einigen Widerwillen und leise Besorgnis ausgelöst haben. Es war in etwa so, als wolle man den Satz des Pythagoras dadurch beweisen, daß man unzählige verschieden große rechtwinklige Dreiecke zeichnet und nachmißt.
    Den ersten Monat in der Sixth Form hatte ich mehr oder weniger, ohne anzuecken, hinter mich gebracht. Die Arbeit machte sogar Spaß: Mir gefiel Anouilhs Antigone , unsere erste französische Lektüre, genau wie Alte Geschichte, auch wenn das Fach bloß eine Verlegenheitswahl war: Eigentlich hätte ich Latein oder Griechisch nehmen sollen, hatte mich dann aber der Bequemlichkeit halber für Alte Geschichte entschieden.
    Zu der Zeit begann ich mit wachsender Begeisterung auf den Dächern des Schulgebäudes herumzuklettern. Jedem Psychologen, der mir dafür eine überzeugende Erklärung liefern kann, wäre ich zutiefst dankbar. Die Schulaula, ein großer viktorianischer Bau mit Zwiebeltürmen an allen vier Ecken, wie auch die angrenzende Kapelle boten phantastische verbleite Laufrinnen und geheime Vorsprünge, von denenaus man das Schulgelände beobachten konnte. Ich wußte, wo der Schulpförtner sämtliche Schlüssel verwahrte, und hatte es in der Kunst des harmlosen Stibitzens zu wahrer Meisterschaft gebracht.
    (»Hat er da gerade was von harmlosem Stibitzen gesagt?«
    »Hat er.«
    »Dacht ich’s mir doch. Soll ich, oder willst du?«
    »Drücken wir lieber ein Auge zu.«
    »Ernstlich?«
    »Hmh. Wir ermuntern ihn doch sonst nur.«
    »Na gut, wenn du meinst. Ich hätte ja einige Lust, die Polizei zu rufen.«)
    Sowohl in der Kapelle wie in der Aula standen zwei riesige Walker-Orgeln mit gigantischen hölzernen 32-Fuß-Ton-Registern. Wenn man vor das Blasloch einer der Pfeifen ein Stück Papier klemmte (ich bin mir sicher, es gibt dafür einen besseren Ausdruck als

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