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01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend

Titel: 01 Columbus war ein Engländer: Geschichte einer Jugend Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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darf.«
    »Tatsächlich, Sir?«
    »Aber ja, Sir«, sagte er. »Da fällt mir ein Witz ein, den ich als kleiner Junge in einer Pantomime gehört habe. Und zwar Aschenputtel. In Dereham, noch Jahre vor dem Krieg. Eine der häßlichen Schwestern sagte: ›Immer, wenn mir der Himmel auf den Kopf fällt, kaufe ich mir einen neuen Hut.‹ Worauf die andere häßliche Schwester erwiderte: ›Ach, deswegen sehen die immer so verknittert aus.‹ Es kommt mir vor, als wär’s gestern gewesen.«
    Allerdings klang der Satz mit seinem leichten Norfolk-Akzent wie: »Es kommt mir vor, als wär’s jestern jewesen.«
    »Also denn«, fuhr er fort und legte mir seine Hand auf die Schulter. »Wo drückt dich denn der Schuh?«
    »Och, nirgends«, sagte ich, »nur ...«
    »Du kannst es mir ruhig sagen, junger Mann. Wenn es ein Geheimnis ist, bleibt es ganz bestimmt unter uns. Vor zwanzig Jahren hat mir ein Junge ein höchst wundersames Geheimnis anvertraut. Weißt du, was es war?«
    »Nein«, sagte ich und reckte den Kopf. Nichts interessierte mich brennender als ein Geheimnis. »Was war es?«
    »Das kann ich dir nicht verraten«, sagte Mr. Kett. »Schließlich ist es ein Geheimnis. Siehst du? So gut sind sie bei mir aufgehoben.«
    »Oh. Also, wissen Sie, die Sache ist ...«
    Und schon sprudelte ein konfuser Bericht über die ganze Enttäuschung, Verbitterung, Wut und Verzweiflung aus mir heraus, die Mary Hench und ihr gottverdammter Esel mir zugefügt hatten.
    »Es war ein phantastischer Maulwurf, verstehen Sie ... einfach perfekt . Die Schaufeln waren perfekt, die Schnauze war perfekt, das Fell war perfekt. Es war der beste Maulwurf aller Zeiten. Auch wenn er tot war. In jeder anderen Woche hätte ich den Stern gewonnen. Nicht, daß Sterne so fürchterlich wichtig wären, nur habe ich noch nie einen beim Naturkundetisch gewonnen. Nicht einen einzigen. Niemals .«
    »Aber du hast eine ganze Reihe Sterne beim Rechtschreiben gewonnen, nicht wahr? Miss Meddlar hat es mir erzählt.«
    »Ach, Rechtschreibung ...«
    »Ich habe mir deinen Maulwurf angesehen. Ein Prachtexemplar, gar keine Frage. Du solltest sehr stolz auf ihn sein.«
    An diesem Nachmittag ging ich nach Schulschluß zum Naturkundetisch, nahm das inzwischen leicht eingefallene Tier und wickelte es in mein Taschentuch.
    »Verläßt uns unser Maulwurf?« fragte Miss Meddlar, augenscheinlich im Ton der Erleichterung.
    »Ich denke schon«, seufzte ich. »Ich meine, er ist ein bißchen ... Sie verstehen.«
    Auf dem Nachhauseweg lehnte ich mein Fahrrad gegen eine Hecke, öffnete das Taschentuch und machte mich daran, die Kennzeichen der Verwesung wissenschaftlich zu untersuchen. Der einst samtweiche Körper des Maulwurfs war nun matt und fleckig und mit glänzenden weißen Milben übersät. Aus einem Loch in der Mitte des Kadavers schien ein schwarzes Insekt, das sich tief in der glibbrigen Masse gütlich getan hatte, plötzlich mich oder zumindest das helle Tageslicht zu bemerken und Reißaus nehmen zu wollen. Mit wütendem Propellergebrumm knallte es geradewegs in mein Auge. Ich schrie auf und ließ das ganze Bündel fallen. Das fliegende Ungetüm, was immer es war, trudelte hoch in die Luft und verschwand über den Feldern.
    Ich spürte etwas Nasses an meinen Knöcheln und blickte hinab. Der Maulwurf war auf meine Sandalen geklatscht und explodiert, wobei er sich über meine Socken und Füße verteilt hatte. Gepeinigt von Angst und Ekel hopste ich schreiend in der Gegend herum, mit dem Taschentuch wild gegen meine Schienbeine schlagend, als hätten sie Feuer gefangen.
    Es war der reinste Horror, die ganze Natur war der reinste Horror. Sie stank und gluckste und spie Schleim, Maden und tröpfelndes Gedärm aus.
    Ich glaube, in jenem Moment verspürte ich zum ersten Mal den drängenden Wunsch, nicht zu sein. Nicht etwa den Wunsch zu sterben und schon gar nicht den Wunsch, meinem Leben ein Ende zu setzen – einfach nur den Wunsch, nicht zu sein. Diese eklige, feindselige und häßliche Welt war nicht für mich gemacht und ich nicht für sie. Sie war mir fremd und ich ihr.
    Die Einzelteile des Maulwurfs lagen entlang der Hecke verstreut. Ich rubbelte mit dem ehemals frischgestärktenLeinentaschentuch über meine Beine und hielt es gegen den Himmel. Das Taschentuch und der Abendhimmel sahen gleich aus, beide mit Tinte und Blut verschmiert. Die bedrohliche Feindseligkeit einer bestimmten Sorte von Sonnenuntergängen hat mich seither immer wieder in Angst und Schrecken

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