01 Das Haus in der Rothschildallee
machte, wenn sie schwanger wurde; die Logik belebte sie so, dass sie eine gewaltige Lust verspürte, »Dazu gehören zwei« zu sagen, doch ihr Mut versiegte. Wie der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Sie blickte geniert zu Boden, machte sowohl einen grauen Wollfaden als auch den Kopf eines abgebrannten Streichholzes auf dem empfindlichen Kelim aus, ärgerte sich und wurde wieder sicher. Mit resoluter Hausfrauenstimme schlug sie vor: »Wir sollten uns vielleicht doch wieder nach einem Zweitmädchen umschauen. Josepha kann ja nicht alles allein machen.«
Der schweigsame Gatte starrte auf das Bild, das er immer brütend fixierte, wenn er im Wintergarten saß und ihm nicht nach Reden zumute war. Es war eine zeitgenössische Arbeit und zeigte einen Garten in Königstein, im Hintergrund verkohltes Mauerwerk und einen efeubewachsenen Pavillon. Obwohl die Rosen in voller Blüte standen, machte die Szenerie einen düsteren Eindruck. Das Gemälde, betont bescheiden gerahmt, war mit Absicht so gehängt worden, dass es zur Hälfte von einem hochgewachsenen Palmfarn verdeckt wurde. Es war ein gemeinsames Geschenk der gesamten Verwandtschaft zu Johann Isidors fünfzigstem Geburtstag gewesen und hatte ihm von dem Moment an missfallen, da er es vor den Augen seiner erwartungsvollen Gäste hatte auspacken müssen. »Ein Hoch auf unseren Josi!«
Jubilar oder nicht, er hatte sich verbeten, dass die Sippschaft ihn Josi nannte. Ausgerechnet die nichtsnutzigen Vettern, die sich hatten taufen lassen! »Das durfte nur die Mutter. Und ob ich das im Ernst meine!« Johann Isidor kam der Gedanke, dass die Gelegenheit günstig wäre, das Bild endlich von der Wand zu nehmen. Wahrscheinlich würde es im Krieg weniger Besuch von Haus zu Haus geben. Es war ziemlich unwahrscheinlich, dass irgendeiner aus der Sippschaft sich noch mit dem Schicksal des Königsteiner Rosengartens beschäftigen würde. Schließlich hatten die Leute jetzt ganz andere Sorgen. Auch bei der Verwandtschaft taten die Söhne ihre Pflicht. Von zwei seiner oberhessischen Neffen wusste Johann Isidor, dass sie unterwegs nach Belgien waren, die Pforzheimer Buben wahrscheinlich schon in Frankreich.
Seine Gedanken kehrten zurück ins eigene Heim. Was wohl Betsy von ihm wollte? Sie schaute ihn an, als hätte sie ihn etwas gefragt und er zu antworten vergessen, ein uralter, ziemlich übler Trick. Wahrscheinlich hatte ihn Sara schon an Abraham ausprobiert. Er fragte sich, ob sein ferner Sohn etwa seinen Vater hintergangen und heimlich seiner Mutter geschrieben hatte. So etwas kam vor. Wahrscheinlich öfter als gedacht. Niemand konnte sich ja ein genaues Bild von dem machen, was im Kopf eines Achtzehnjährigen vorging, der zum ersten Mal von zu Hause weg war. Außerdem war Otto rundum ehrlich und zutraulich und wahrhaftig kein Meister im Vertuschen. Jedenfalls noch nicht.
Vielleicht hatte die letzte Stunde in seiner Vaterstadt das Gewissen des Jungen zu schwer belastet, eventuell hatte er die kleine Konspiration unter Männern gar als Schuld empfunden und hatte nun das Bedürfnis, seine Mutter nicht auszuschließen. Die ganze Angelegenheit war ja ein wenig ungewöhnlich, aber doch kein Betrug, eher ein Lebensabschnitt in einer Zeit, die sich im Umbruch befand. Johann Isidor bohrte seine Hand in die Tasche seiner Jacke. Er sah nicht den geringsten Grund, sich auf die Brust zu schlagen. Sollte er etwa bereuen, dass er wie ein Mann gehandelt hatte?
»Ich auch«, sagte er. Er sprach, was ihn bei Erwin rasend machte und er jedes Mal rügte, mit geschlossenen Zähnen. Seine Stirn juckte. Weshalb schaute ihn seine Frau eigentlich so erwartungsvoll an? Sie sah so ganz anders aus als sonst, irgendwie kindlich und verwirrt, eine nicht sehr gelungene Mischung aus Kaninchen und Matrone.
Vielleicht war es der guten Betsy peinlich, dass sie nun Bescheid wusste und dass sie ihm dies nicht gesagt hatte. Eine Frau war es ja nicht gewöhnt, vor ihrem Mann ein Geheimnis zu haben. Für die Frauen spielten die kleinen Vertraulichkeiten die Hauptrolle, die sie der Freundin ins Ohr zu flüstern beliebten. Auch noch als reife Vierzigerinnen. Wahrscheinlich war die Bluse neu, und er hatte mal wieder nichts gemerkt und die Arme um die Freude eines Kompliments gebracht. Doch was in drei Teufels Namen hätte er sagen sollen? Das Gewand war ein Albtraum. Nach neunzehn Jahren Ehe musste sich doch eine Frau wie Betsy ein für alle Mal gemerkt haben, dass ihr Mann cremefarbene Blusen mit Volants und
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