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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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höchstens ein. Gott gebe, dass es so bleibe.«
    »Na, ich werde wie ein Hund leiden«, widersprach Josepha, »wenn ich unserem Otto kein Zwetschenmus ins Feld schicken kann. Und Dörräpfel für die Verdauung wird der Bub auch brauchen. Sagen Sie nur, das wissen Sie nicht mehr, dass der sein Dörrobst haben muss.«
    Josepha hatte Brot, Butter, Aufschnitt, Tomaten und geschnittene Zwiebeln für das Abendessen auf den Küchentisch gestellt und an der dickbäuchigen Teekanne einen Zettel mit dem Hinweis befestigt, der Rest vom Schokoladenpudding für Victoria und die Dose mit Tante Jettchens Salbeitee seien in der Speisekammer. Die Hausfrau nahm sich vor, spätestens beim Frühstück Josepha für ihre Fürsorglichkeit zu loben.
    Eine Fliege klebte am Fenster. Betsy überlegte, ob sie aufstehen und die Fliege, falls sie noch lebte, zurück ins Leben treiben sollte, doch sie blieb sitzen. Fliegen hatten sie schon als kleines Mädchen geängstigt. Die Schwestern hatten die schöne Rivalin deshalb mit Wonne gehänselt, die Brüder sie mit ihren kleinen schmutzigen Fäusten verteidigt, und der Vater hatte seine Lieblingstochter auf den Schoß genommen und ihr erklärt, dass nur dumme Menschen keine Angst hätten.
    »Ich muss dir etwas gestehen«, sagte sie. Ihre Stimme erschien ihr dünn und fremd und lächerlich kindlich. Sie merkte, dass ihre Augen feucht geworden waren, nahm das kleine Stück Apfelkuchen, das schon seit einer halben Stunde auf ihrem Teller lag, legte es zurück auf die Etagere und räusperte ihren Hals frei. Selbst die Zunge war trocken, steif wie ein Stück Holz. Betsy fiel auf, dass ihr Mann sich sonderbar benahm. Er rechtete mit seinem Körper, setzte sich aufrecht hin, drückte den Rücken durch und die Brust hinaus, schlang das rechte Bein über das linke. Also hatte er sie doch gehört, wahrscheinlich sogar verstanden. Er war einer, der rasch begriff, wenn es sein musste, und der kühne Kombinationen nicht scheute und auch mit Imponderabilien rechnete. Betsy wunderte sich, dass er die Augen zusammenkniff. Wie ein Wandersmann, der plötzlich in eine Nebelwand läuft und sein Ziel nicht mehr ausmachen kann. Noch konnte Johann Isidor wie ein Adler sehen. Er war so stolz auf seine Augen und sein feines Gehör, als wäre ein gesunder Körper der eigenen Tüchtigkeit zu verdanken.
    Ohne dass er es merkte, lockerte Betsy im Schutz der weiten Bluse den Rockbund. Es war das erste Mal seit Victorias Geburt, dass sie die cremefarbene Georgettebluse trug, die die Hausschneiderin im Sandweg vor genau neunzehn Jahren genäht hatte. Der weiche Schalkragen war zur Schleife gebunden. »So eine Schleife lenkt ab«, hatte die Schneiderin damals gesagt, und dann hatte sie auch noch »von Brust und Leib« hinzugefügt, und Betsy war rot geworden. Beim Anziehen hätte sie tausend Eide geschworen, der Gatte mit den Adleraugen und dem Gespür für Damenkleidung würde die Bluse mit ihren Rüschen und den weiten Ärmeln und der auffälligen Schleife erkennen. Nun starrte er auf ihren Bauch und kniff die Augen zusammen, als hätte er noch nie eine Frau in einer Umstandsbluse gesehen. Schließlich murmelte er: »Ach.«
    Seine Frau zuckte zusammen. Johann Isidor hatte das brauchbare, unverfängliche, in der Ehe stets taugliche Wort just in dem Moment gesagt, in dem sie sich endgültig darauf eingestellt hatte, dass er nicht mehr auf ihr Signal zu einem Geständnis reagieren würde. Es gab immer wieder solche Gespräche in ihrer Ehe. Sie waren klebrig wie Honig und recht unerfreulich. Wenn ein Thema Johann Isidor nicht berührte, war er schweigsam und schwerfällig, manchmal gar feindselig. Dann schien er gekränkt, dass seine Frau ihn überhaupt angesprochen hatte – so, als wäre sie ohne anzuklopfen in sein Arbeitszimmer gestürmt und hätte seinen Schreibtisch leer gefegt.
    Betsy faltete ihre Hände. Sie kam sich vor wie eine Schauspielerin in einer der hübschen modernen Komödien, die sie so gerne sah und die Johann Isidor fürchterlich fand. In diesen Lustspielen waren es immer die Frauen, die alle Trümpfe in der Hand hielten und die für das gute Ende sorgten. Anders als im Leben, standen die Männer zum Schluss wie begossene Pudel da, doch – auch dies anders als in der Wirklichkeit – lachten sie über sich selbst. Betsy überlegte, ob sie nicht doch spontan zur Sache kommen sollte.
    Diesmal allerdings vergegenwärtigte sie sich, dass sich eine verheiratete Frau ja nicht einer ehelichen Verfehlung schuldig

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