01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
schüttelte den Kopf. »Da müssen wir schon mit ihm zusammen hinuntergehen. Wenn er dem Major seine Tulpen zertrampelt, dreht der ihm den Kragen um.« Er lachte und zauste Toby das helle Haar. »Was meinst du...«
Sie hörten das Miauen gleichzeitig, nur schwach, selbst in der Stille der Wohnung. Als sie sich herumdrehten, sahen sie die schwarze Katze unter Jasmines Bett hervorkriechen. Vor dem Bett machte sie halt, kauernd bereit, jederzeit zu fliehen.
»Eine Katze!« rief Gemma. »Sie haben gar nicht gesagt, daß sie eine Katze hatte.«
»Ich vergesse sie dauernd«, gestand Kincaid beschämt.
Gemma kniete nieder und rief die Katze. Sie zögerte einen Moment, dann kam sie langsam näher, und Gemma nahm sie auf den Arm. »Wie heißt sie?«
»Sie ist ein er und heißt Sid. Als ich ihn gerufen habe, ist er nicht gekommen«, sagte Kincaid gekränkt.
»Vielleicht hat meine Stimme ihn an sie erinnert«, meinte Gemma.
Kincaid kniete nieder, um nach dem Futternapf zu sehen, den er unter das Bett geschoben hatte. »Er frißt immer noch nicht.«
»Kein Wunder.« Gemma rümpfte angewidert die Nase, als sie das alte Futter sah. »Da muß schon etwas Besseres her.« Sie setzte die Katze auf den Boden und suchte in den Küchenschränken, bis sie eine Dose Thunfisch fand. »Vielleicht klappt’s damit.« Sie öffnete die Dose und gab etwas Thunfisch in eine saubere Schale, die sie dem Kater hinstellte. Sidhi schnupperte, sah sie forschend an, hockte sich dann vor die Schale und nahm versuchsweise einen Happen.
Kincaid war wieder ins Wohnzimmer gegangen und wanderte ziellos umher, zerstreut bald dies, bald jenes berührend.
»So geht das nicht«, sagte Gemma, die seine sonstige Selbstsicherheit kannte, mit gedämpfter Stimme. »In diesem Zustand würde er ja nicht mal einen ganzen Heuhaufen mitten im Wohnzimmer finden, hm, Sid?« Der Kater ignorierte sie, ganz mit seinem Mahl beschäftigt.
Kincaid blieb vor dem schweren Bücherschrank aus Eiche stehen und starrte die Buchrücken an, als könnten sie ihm etwas offenbaren, wenn er nur lange genug hinsah. Gemma trat zu ihm und überflog die Namen. Scott, Förster, Delderfield, Galsworthy, eine sehr abgegriffene, in Leder gebundene Ausgabe der Romane Jane Austens.
»Es sind gar keine Modernen dabei«, sagte Gemma verwundert. »Keine Taschenbücher, keine Bestseller, keine Krimis oder Liebesromane.«
»Sie hat sie immer wieder gelesen. Es waren alte Freunde für sie.«
Gemma musterte ihn so aufmerksam, wie er die Bücher musterte, und beschloß, die Sache in die Hand zu nehmen.
»Also. Sie fangen mit dem Schreibtisch an, okay? Und ich nehme mir das Schlafzimmer vor.«
Kincaid nickte und ging zum Sekretär. Er setzte sich auf den Stuhl, der zu zierlich wirkte, um seinen großen, kräftigen Körper tragen zu können, und zog behutsam die oberste Schublade auf.
Jasmines kleines Schlafzimmer ging nach Norden, zur Straße hinaus. Gemma knipste die kleine Lampe auf der Kommode an. In dem Zimmer standen nur ein schmales Bett mit einem alten Chenilleüberwurf, die Kommode, ein Nachttisch und ein massiger Kleiderschrank. Im Gegensatz zum Wohnzimmer spiegelte dieser Raum nichts von der Persönlichkeit der Bewohnerin, sondern wirkte beinahe anonym. Gemma hatte den Eindruck, daß der Raum nur zum Schlafen und zur Aufbewahrung von Wäsche und Garderobe benutzt, jedoch nicht in dem Sinn bewohnt worden war wie der Rest der Wohnung.
Sie begann mit der Kommode und durchsuchte behutsam eine Schublade nach der anderen. Unter Unterröcken und Strümpfen in einer unteren Schublade lag mit der Vorderseite nach unten ein gerahmtes Bild. Gemma nahm es heraus und drehte es um. Eine dunkeläugige junge Frau blickte ihr aus einer Porträtaufnahme in Schwarz-Weiß entgegen. Sie schob den Rücken des Rahmens heraus, um sich die Rückseite der Fotografie selbst anzusehen. »Jasmine, 1962«, stand da in ordentlicher Bleistiftschrift. Gemma drehte das Foto wieder herum. Das dunkle Haar war lang und glatt, in der Mitte gescheitelt; das Gesicht klein und oval, und um den Mund schwebte die Andeutung eines Lächelns über ein Geheimnis, das der Betrachter nicht teilte. Das Mädchen hatte etwas sehr Altmodisches - sie hätte für eine Renaissance-Madonna Modell sitzen können.
Gemma öffnete den Mund, um Kincaid zu rufen, zögerte und legte schließlich die Fotografie wieder in die Schublade zurück.
Sie ging zum Schrank
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