01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
normalerweise Zugang zu der Wohnung hatten. Wenn es Mord war, dann ist der Täter sehr sorgfältig zu Werke gegangen.« Er überlegte einen Moment. »Wenn Jasmine sich selbst das Leben genommen hat, was hat sie dann mit der leeren Morphiumampulle getan? Ich habe die Wohnung ziemlich gründlich durchsucht.«
Childs beugte sich über seinen Schreibtisch und drückte seine Zigarette aus. »Ich kann Sie ein paar Tage entbehren, wenn nichts Größeres hereinkommt. Sullivan soll sich mit den Fällen von heute morgen befassen, der kann ruhig mal wieder eine Dosis Kopfschmerzen vertragen.« Kincaid sah das boshafte Lächeln, das die letzten Worte begleitete, und war froh, nicht in Bill Sullivans Schuhen zu stecken.
»Und Gemma?« fragte er.
»Als ich sie das letztemal mit Sullivan zusammengespannt habe, hat’s ziemlich gekracht. Zwei Rothaarige passen nicht zusammen, jedenfalls nicht diese beiden. Sie können sie zwei Tage haben, wenn sie damit einverstanden ist - und denken Sie daran, das gilt nur, solange ich Sie nicht brauche.«
»In Ordnung«, sagte Kincaid und stand auf. »Vielen Dank auch.«
Kincaid fand Gemma bereits in seinem Büro. Sie hatte es sich in seinem Schreibtischsessel bequem gemacht. Als sie aufstehen wollte, winkte er sie zurück und hockte sich auf die Kante seines unansehnlichen Schreibtischs. Über das Zweckmäßige war die Inneneinrichtung seines Büros nie hinausgekommen - irgendwie kam er nie dazu, mehr als Bücherregale zu bestellen.
Jedes verfügbare Fleckchen in dem kleinen Raum war von Büchern besetzt. Der Bücherfriedhof seiner Mutter, dachte Kincaid, während er die Bände betrachtete, die ohne Ordnung und System in die Regale gequetscht waren. Sie trafen regelmäßig per Post aus Cheshire ein, immer irgend etwas, auf das sie in der Buchhandlung »ganz zufällig gestoßen« war. Vom Handbuch für den Heimwerker bis zum russischen Science-Fiction-Roman war hier alles vertreten, wofür sich seine Mutter je begeistert hatte. Hinter ihrem Kampf um die ständige Erweiterung seiner Bildung vermutete Kincaid ihre Enttäuschung, daß er es abgelehnt hatte zu studieren, und er brachte es nicht übers Herz, die Bücher zurückzuschicken oder zu verschenken. Und wenn er auch seine Mutter wegen ihrer fixen Ideen neckte, so konnte man doch nicht mit Büchern aufwachsen, so wie das bei ihm gewesen war, und sie nicht um ihrer selbst willen lieben.
Gemma klappte den Hefter zu, in dem sie gelesen hatte, und reichte ihn Kincaid. »Jasmines Obduktionsbefund. Keine Einstiche. Das Morphium muß ihr über den Katheter verabreicht worden sein.«
»Das ist nicht weiter überraschend.«
»Und ich habe mit dem Büro des Coroner telefoniert. Die Leichenschau ist für Mittwoch angesetzt.« Gemma stand auf und fegte einige Krümel von der Löschunterlage. Dann griff sie nach einer Kaffeetasse mit Lippenstiftspuren am Rand. Statt ihres sonstigen Schneiderkostüms trug sie eine lange marineblaue Wolljacke und einen weich fallenden Rock.
»Sie sind ja heute morgen ein richtiger Schnellstarter, wie?« Kincaid sah sie lächelnd an. »Ist das Ihr zweites Frühstück?«
Gemma ignorierte die kleine Stichelei. »Ich hab’ gehört, Sie sind direkt zum Chef gegangen. Hat er’s genehmigt?«
Kincaid wurde ernst. »Wir haben zwei Tage, wenn nichts reinkommt, womit Sullivan nicht allein fertig wird. Die anderen können vor Arbeit kaum aus den Augen schauen.« Er ging um den Schreibtisch herum und setzte sich in den Sessel, den Gemma freigemacht hatte. Zurückgelehm zählte er an den Fingern ab: »Zuerst Jasmines Anwalt - das übernehme ich. Vielleicht können Sie mal auf der Bezirksbaubehörde vorbeischauen, wo Meg und Jasmine gearbeitet haben, und mit Meg sprechen. Versuchen Sie herauszubekommen, was Jasmine ihr über die gesetzlichen Regelungen wegen Beihilfe zum Selbstmord erzählt hat. Und reden Sie dann eventuell mit anderen, die was zu sagen haben. Aber zuerst möchte ich, daß Sie den umwerfenden Roger Leveson-Gower mal unter die Lupe nehmen. Würde mich interessieren, was Sie von ihm halten.« Bei der Vorstellung dieses Rencontres zwischen Gemmas hitzigem Temperament und Leveson-Gowers schneidendem Sarkasmus mußte er lächeln. »Vielleicht«, fügte er hinzu, »sagt er Ihnen, was er am Donnerstagabend getrieben hat. Mir hat er’s jedenfalls nicht verraten.«
Kincaid fand die Adresse in Bayswater ohne Schwierigkeiten: eine Erdgeschoßwohnung in einem ehemals
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