01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
aussah wie auf dem Schrottplatz.
Toby fing an zu strampeln und schrie: »Runter, runter!«
»Pscht, pscht. Gleich, Schatz, gleich.« Gemma schaukelte ihn auf ihrer Hüfte und klapperte mit den Schlüsseln, während sie nach dem richtigen suchte. Als sie Toby drinnen auf dem Boden absetzte, bemerkte sie auf der Hüfte ihrer Leinenjacke einen großen feuchten Fleck. »Verdammt. Jetzt reicht’s mir aber«, murmelte sie mit unterdrücktem Zorn. Toby war klatschnaß, und als sie ihn nochmals hochhob, nahm sie auch den scharfen Geruch nach altem Urin wahr. »Dieser verdammte Hort«, sagte sie.
Toby zog eine blonde Augenbraue hoch, und es sah so komisch aus, daß sie lachen mußte.
»Verdammt«, wiederholte er ernst und nickte dazu.
»Ach, Schatz.« Sie drückte ihn samt seiner klatschnassen Windel fest an sich und flüsterte ihm ins Ohr. »Mama bringt dir wirklich schlimme Sachen bei. Aber verdammt ist in diesem Fall schon das richtige Wort. Anders kann man nicht sagen.« Sie trug ihn nach oben, stellte ihn in sein Bettchen, zog ihn aus und wusch ihm dann das feuchte Hinterteil ab. »Du bist eigentlich schon viel zu groß, um noch Windeln anzuziehen. Du bist doch schon zwei, nicht wahr? Ein richtiger großer Junge.«
»Ich zwei«, wiederholte Toby und lachte sie an.
Gemma seufzte. Sie hatte ihren Urlaub schon im Sommer genommen und wußte nicht, wie sie ihn sauber bekommen sollte, ohne ein paar Tage mit ihm zu Hause zu bleiben.
Sie drückte ihren Mund auf seinen Bauch und blies mit aller Kraft. Toby quietschte und krähte vor Wonne, als sie ihn mit Schwung heraushob und ihm einen Klaps gab. Prustend wie eine Lokomotive rannte er auf seinen kleinen Beinchen davon, und Gemma folgte langsamer.
Nachdem sie sich mit einem Glas gekühlten Weißwein gestärkt hatte, verstaute sie ihre Einkäufe und machte im Wohnzimmer Ordnung, indem sie Tobys Spielsachen und Bücher in Körbe warf. Sie hatte versucht, das Haus ein bißchen wohnlicher zu gestalten. Kugelschirme aus weißem Reispapier über den nackten Glühbirnen, Reispa-pierjalousien an den Fenstern, bedruckte Baumwollkissen auf der langweiligen Couch, bunte Poster an den Wänden - aber die Feuchtigkeit kroch dennoch durch die Tapete, und die Sprünge in der Decke verästelten sich wie Efeu.
Das dumpfe Dröhnen von Heavy-Metal-Rockmusik setzte nebenan ein, so stark, daß die Wände vibrierten. Gemma holte aus der Küche einen Besen und klopfte mit dem Stiel nachdrücklich an die Verbindungswand. Der Krach nahm um den Bruchteil eines Dezibels ab. »Wenn ihr die verdammte Musik nicht sofort leise macht, hol’ ich die Polizei«, schrie sie an die Wand, obwohl sie genau wußte, daß sie drüben nicht ein Wort hörten.
Dann wurde ihr die Absurdität der Situation bewußt, und sie begann zu lachen. Da stand sie mit ihrem Besen in der Hand und fliegendem roten Haar und kreischte wie ein Fischweib - die reinste Hexe. Immer noch lächelnd holte sie ihren Wein aus der Küche, setzte sich aufs Sofa und legte die Füße auf die Truhe, die als Couchtisch diente. Toby schob, vom Lärm gänzlich unberührt, einen Plüschteddybären über den Boden und machte dabei Brummgeräusche.
So tolerant sollte ich mal sein, dachte Gemma ironisch. Vor zehn Jahren hätte ich nebenan feste mitgerockt - aber nein, vielleicht doch nicht. Mit achtzehn war es ihr weit wichtiger gewesen, ein anderes Leben für sich selbst zu planen, als sich zu amüsieren. Sie war auf der Schule geblieben und hatte den Abschluß gemacht, der ihr erlaubte, auf die Universität zu gehen, während ihre Freundinnen Verkäuferinnen oder Kassiererinnen geworden waren oder geheiratet hatten. An ihrem neunzehnten Geburtstag bewarb sie sich bei der Metropolitan Police. Zwei Jahre später entschied sie sich für eine Karriere beim CID, der Kriminalpolizei. Sie sah ihren zukünftigen Berufsweg so klar gezeichnet vor sich wie eine Karte.
Sie hatte nicht damit gerechnet, daß sie in einem Viertel landen würde, das genauso war wie das, aus dem sie immer herausgewollt hatte. Aber sie hatte ja auch nicht mit Rob James gerechnet.
Toby kletterte neben ihr aufs Sofa und schlug ein Bilderbuch auf. »Ball«, sagte er und tippte mit dem Finger auf die Seite. »Auto.«
»Ja, du bist ein gescheiter Junge, Schatz.« Gemma strich ihm über das glatte blonde Haar. Sie konnte sich wirklich nicht beklagen. Bisher war sie mit ihrem Leben gut zurechtgekommen, trotz aller
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