01 Das Hotel im Moor 02 Alles wird gut
Hindernisse. Und morgen hatte sie einen halben Tag frei, Zeit, sich Toby zu widmen.
Vielleicht kam ihre schlechte Laune zum Teil daher, gestand sie sich widerwillig ein, daß sie sich sehr schnell daran gewöhnt hatte, mit Duncan Kincaid zusammenzuarbeiten, und der Tag infolge seiner Abwesenheit einiges von seinem Glanz verloren hatte.
Und das, sagte sich Gemma streng, war eine Neigung, die man fest im Griff behalten mußte.
Am Dienstag morgen erwachte Kincaid spät, von einer Lustlosigkeit geplagt, die oft die Folge des Verschlafens ist. Das Bettzeug war verwurstelt und halb zu Boden gerutscht. Seine Zunge fühlte sich von allzuviel Wein am Abend zuvor pelzig an.
Ein bedrückender Traum hing ihm noch nach, quälte ihn mit zusammenhanglosen Bildfragmenten. Ein Kind in einem Brunnen - eine kleine Stimme, die nach ihm rief... Er konnte kein Seil finden... Dann stieg er in den Brunnen hinab, Moos, das seine Handflächen wie gelatinöser Leim bedeckte... um nur Knochen zu finden, nichts als kleine Knöchelchen, die unter seiner Berührung in Staub zerfielen. Puh! Er schüttelte sich und lief in die Dusche, in der Hoffnung, daß das heiße Wasser seinen Kopf freimachen würde.
Als er aus dem Bad kam, merkte er, daß er einen Bärenhunger hatte. Er nahm sein Frühstück - Butterbrot, Käse und eine Tasse Tee - mit auf den Balkon hinaus und verzehrte es ans Geländer gelehnt, während er über den Tag nachdachte, der vor ihm lag. Er stellte fest, daß ihm aller Enthusiasmus, den Touristen zu spielen, abhanden gekommen war. Alle seine Pläne erschienen ihm langweilig, lahm, Abklatsch des trüben, bewölkten Tages. Selbst der Gedanke, allein zu wandern, eine Vorstellung, die er noch vor zwei Tagen herrlich gefunden hatte, konnte ihn jetzt nicht mehr reizen.
Sein Gewissen plagte ihn. All diese Träume von Dingen, die ungetan geblieben oder zu spät erledigt worden waren. Sein Unterbewußtsein bombardierte ihn mit kleinen Giftpfeilen, er mußte ein Friedensangebot machen. Offizielles Handeln war schwierig, aber er hatte das Bedürfnis, etwas Positives zu tun.
Er würde Sebastians Mutter besuchen. Ihr einen Beileidsbesuch machen. Ein altmodischer Brauch, traditionell, ehrenwert und häufig nicht mehr als leere Etikette, aber so ein Besuch würde ihm wenigstens das Gefühl geben, daß Sebastians Tod nicht ohne ein Zeichen vorübergegangen war.
Die Adresse konnte er sich bei Cassie holen.
Als Kincaid seine Apartmenttür abgeschlossen hatte und sich umdrehte, sah er Penny MacKenzie unsicher im Flur stehen. Sie trug an diesem Morgen eine lange Hose, Pullover und feste Schnürschuhe und wirkte irgendwie reduziert, als hätte sie zusammen mit ihrer exzentrischen Garderobe eine Dimension ihrer Persönlichkeit verloren. Eine ältere Frau, ein wenig gebrechlich vielleicht, aber durchschnittlich. Ihr Enthusiasmus fehlte, erkannte Kincaid plötzlich; statt zu sprudeln wie sonst, zauderte sie jetzt nur.
»Guten Morgen, Miss MacKenzie.«
»Oh, Mr. Kincaid, ich hatte gehofft... ich meine, ich dachte, wenn Sie vielleicht... ich dachte mir, ich warte einfach mal...« Die Worte gingen ihr aus, sie schwieg mit hilflosem Gesicht.
»Wollten Sie mit mir über etwas reden?«
»Ich wollte nicht mit diesem Inspector Nash sprechen, weil ich mir schrecklich albern vorkäme, wenn sich dann herausstellen sollte, daß es gar nicht wichtig ist. Und Emma hat mir gesagt, daß Sie auch Polizeibeamter sind, deshalb dachte ich, Sie könnten mir vielleicht... Ich wollte nicht, daß Emma es erfährt, wissen Sie... Ich habe nämlich Inspector Nash gesagt, ich hätte geschlafen, aber das stimmt nicht. Emma regt sich immer so auf, wenn ich etwas vergesse, deshalb habe ich gewartet, bis sie eingeschlafen war...«
»Ach, hatten Sie etwas vergessen?« Kincaid lehnte sich an die Wand, geduldig und entspannt, um sie nicht zu hetzen.
»Ja, meine Handtasche. Unten im Salon. Ich habe mich auf der Party so gut unterhalten. Ich habe einen Sherry getrunken. Ich trinke fast nie, wissen Sie, und der Sherry muß mich vergeßlich gemacht haben...«
Wieder geriet Penny ins Stocken, und diesmal wagte es Kincaid, sie zum Weitersprechen zu ermuntern. »Und nachdem Ihre Schwester eingeschlafen war, sind Sie wohl hinuntergegangen, um die Tasche zu suchen?«
»Ja. Ich habe gewartet, bis sie zu schnarchen anfing. Dann wacht sie nicht mehr so leicht auf.« Ein Hauch ihres verschmitzten Lächelns zeigte sich.
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