0,1 % - Das Imperium der Milliardäre
genannt wurden«, zu einem schlagkräftigen Interessenverbund zusammentun. Diese »neue Klasse« würde dann politisch für ihre eigenen grenzüberschreitenden Interessen gegen den Kapitalismus der Superreichen kämpfen. 2
Wenn im Folgenden von Strukturen und Akteuren des Reichtums, insbesondere in Europa, die Rede ist, sollte man dieses »Rette-sich-wer-kann«-Szenario, von wahrlich kompetenter Seite entwickelt, im Hinterkopf behalten. Reichtum kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Zunächst einmal geht es um die Frage der Vermögenskonzentrationen. Die Reichen sind immer reicher geworden, auch und gerade in Europa. Dafür gibt es eine Fülle von empirischen und statistischen Indizes, auch wenn sie bislang in keiner Weise zureichend systematisch erschlossen und analysiert worden sind. Und selbst hinsichtlich der Frage, was Eigentum – und sogar Geld – unter den heutigen Bedingungen ist, steht Klärung aus. Zweitens geht es um ein klassentheoretisches Problem, also um die Frage, ob sich eine (neue) herrschende Klasse auf der Grundlage dieser Akkumulationsprozesse herausbildet. Hier gibt es unterschiedlicheErklärungsansätze, aber noch bei weitem keinen Konsensus unter den kapitalismuskritischen Beobachtern. Drittens geht es um eine epochenspezifische Bestimmung dieses historisch einmaligen Akkumulationsprozesses.
Im Zentrum aber steht die zweite Ebene, die klassentheoretische Frage, die Frage nach dem »Wer« beziehungsweise nach dem »Wer – Wen«. Doch muss man gleich vorausschicken, dass die Postulierung einer europäischen herrschenden Klasse verfrüht beziehungsweise auch nach anderthalb Jahrhunderten marxistischer und nichtmarxistischer Klassenanalyse noch den Gefahren der Vereinfachung und Mythologisierung ausgesetzt ist. Man sollte deshalb zunächst einmal versuchen, die Akteure und Profiteure einer möglichen »Refeudalisierung« Europas als ein komplexes Netzwerk teils kooperierender, teils konkurrierender Eliten darzustellen. Und um dieses Netzwerk vorurteilsfrei zu erkunden, tauchen Begriffe wie »Geldmachtapparat« oder »Geldmachtkomplex« auf.
Was nun Elitenherrschaft angeht, gibt es einige sehr nützliche konzeptuelle Exportartikel oder franchises aus den USA: erstens den Begriff einer Power Elite , die im Gefolge des New Deal und des Zweiten Weltkriegs entstand und in welcher der alte Kern plutokratischen Reichtums zunehmend von Verwaltungseliten, Spitzenexperten, Großwissenschaftlern, Gewerkschaftern, Konzernmanagern, politischen Generälen und politischen Direktoraten umringt und zum Teil eingeengt wurde. Zweitens erschien der Begriff eines Militär-Industrie-Komplexes (MIK), der nach dem Zweiten Weltkrieg als Folge der (völlig asymmetrischen) Systemauseinandersetzung entstanden ist. Dieser Pentagon-Kapitalismus hat sich nach dem Ende des Kalten Krieges und nicht zuletzt unter dem Einfluss der neuen Informationstechnologien sogar noch enorm ausgeweitet und stabilisiert, so dass er heute noch mächtiger und in gewissem Sinne stabiler ist als der Finanz- oder Wall-Street-Kapitalismus, über den gegenwärtig alle reden. Und diese Konzepte umschreiben allesamt eine Wirklichkeit.
In diesem Netzwerk beginnen sich – und bleiben wir in Europa – verschiedene, per se höchst interessante Gruppen heimisch zu machen. Zum Beispiel: über Generationen vererbter dynastischerReichtum; der immer noch potente europäische Adel; mittels technischer, finanzieller und konsumstrategischer Innovationen zusammengeraffter Neureichtum; durch korrupte Privatisierungspraktiken hochgekommene Oligarchen; Mafiamilliardäre. Der Mythos der Meritokratie, also der Leistungsgesellschaft, ist verblasst. Superreichtum wird zu einer Gefahr für die Demokratie. Schon zu Clintons Zeiten konstatierte William Pfaff, der bekannte Leitartikler des International Herald Tribune , für die USA: »Der wichtigste Wandel unserer Zeit ist die Aufwertung der Rolle des Geldes bei der Bestimmung der Frage, wie Amerika regiert wird. Diese Rolle war niemals gering, aber sie gewann eine neue Dimension, als der Oberste Gerichtshof entschied, dass Geld, welches für die Wahl von Kandidaten und für die Förderung von privaten und kommerziellen Interessen in Washington ausgegeben wird, eine Form der verfassungsmäßig geschützten Meinungsäußerung darstellt. Dadurch wurde eine repräsentative Republik umgewandelt in eine Plutokratie.« 3
Und diesen Topos entwickelt zum Beispiel der amerikanische Autor Kevin Phillips, einst
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