0,1 % - Das Imperium der Milliardäre
beste Elite, die wir haben. Selbstverständlich geht von den Jüngeren, Besserverdienenden mit hoher Bildung eine gewisse Europabegeisterung aus. Sie wird auch genährt von der Sorge, dass in einem zerfallenden Europa die technischen und kulturellen Kompetenzen, welche diese intellektuelle Elite erworben hat, nicht mehr so hoch im Kurs stehen könnten.
Aber die interessante Frage ist doch, in welchem Verhältnis diese intellektuelle Elite zur »Politik« und zu den »EU-Bürgern« steht. Letztere sind ja schließlich auch Teil der »Volksmassen«, der »Multitude«, und diese ist nun keineswegs so undifferenziert, wie sie rechtsliberalen Intellektuellen erscheinen mag. Gleichgültigkeit und Desinteresse gegenüber dem europäischen Projekt könnte man eher bei anderen Eliten vermuten. Es gibt sicher spezifische ökonomische und soziale Interessen, denen ein Zerfall der Europäischen Union nicht unliebsam oder zumindest gleichgültig wäre. Ein großes, altes Elitenbündnis – transatlantisch und sogar transsibirisch (wenn man an die imperialen Beziehungen zum alten und neuen Russland denkt) – hat ja seit langem gelernt, sich in einem zerfallenden, von Konflikten zerrissenen Europa wie ein Fisch im Wasser zu bewegen. Teile des Geldadels, Oligarchen und so weiter mit ihremTross von Investmentbankern, Konzernmanagern, Lobbyisten, Hausprofessoren und Medienkumpels sind durchaus nicht auf das Projekt Europa, so wie es jetzt steht, angewiesen. Durch Krisen und Katastrophen nicht nur unbeschadet, sondern mit Gewinn hindurchgekommen ist auch ein großer Teil der europäischen Aristokratie. Manchen der oberen Zehntausend also, die ihre existentielle Stabilität aus tieferen Quellen beziehen, muss ein desintegrierendes Europa nicht unrecht sein.
Mit welchen Schichten der Gesellschaft aber kann sich die besagte junge intellektuelle Elite verbünden, um ihren Traum von einem neuen Europa Wirklichkeit werden zu lassen? Die EU-Bürger, die jetzt wieder einmal als Steuerzahler und virtuelles Kanonenfutter in die Krise geschickt werden sollen, sind ja nicht nur eine orientierungslose Schafherde, die mal hierhin, mal dorthin getrieben wird, aber immer im gleichen Pferch bleiben muss. Bislang waren es zwar die Geld- und Machteliten, zu deren Merkmalen es gehörte, hochgradig mobil, international vernetzt und kosmopolitisch zu sein. Die »Massen« dagegen waren an die Orte und Regionen ihrer Arbeitsplätze gefesselt und kamen allenfalls als Soldaten oder Flüchtlinge oder arbeitssuchende Migranten in Bewegung. Heute aber ist »Bewegungssouveränität« für die europäische Multitude konkrete Realität. Sie begann mit dem Massentourismus, sie setzt sich fort in den neuen, netzgestützten Kommunikationsformen und könnte zur selbstbestimmten Jobmobilität führen. Eine solche Aneignung des europäischen Raumes, seiner Sprachen und Kulturen ist also auf der alltäglichen, ganz praktischen Ebene längst im Gange. Hier kann die intellektuelle Elite anknüpfen und sich selbst ein bisschen aus ihren Dienstleistungsfunktionen für die Geld- und Machtelite befreien.
Schamloser Reichtum
Unter dem Titel »Future Strategic Context« stellte das britische Verteidigungsministerium seinem strategischen Militärinstitut im Jahre 2007 die Frage, welche Kriege und Konflikte die Welt in dreißigJahren bedrohen werden. Ein überraschendes Ergebnis war, »dass die Militärs sich vor Neomarxisten in der globalen Mittelklasse fürchten«. In einer düsteren Vision warnen die Autoren der Studie davor, dass sich im Jahre 2037 mehr als sechzig Prozent der Menschen weltweit in verslumten Städten zusammendrängen werden und dass diese Zusammenballung von Not, Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit einen gewaltigen sozialen Sprengsatz darstellt. Während die fortschreitende internationale Integration Kriege zwischen Staaten völlig zum Erliegen bringt, werden an deren Stelle Konflikte innerhalb der Gesellschaften treten – Bürger-, Sippen- und Klassenkriege. Kurz: »Der Krieg der Staaten geht, der Konflikt der Klassen kommt.« In dieser Situation, fahren die britischen Militärstrategen fort, »könnten die Mittelklassen eine revolutionäre Klasse werden und jene Rolle übernehmen, die Marx für das Proletariat vorgesehen hatte«. Aufgerieben zwischen »wachsender sozialer Verelendung einerseits und dem schamlosen Leben der Superreichen andererseits« könnten sich die »Leistungs- und Wissenseliten, die früher einmal Bildungsbürger und Facharbeiter
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