01 - Der Ring der Nibelungen
rechten Hand. »Der König von Burgund reist nach Island!«
»Nach Island!«, tönte es aus vielen Kehlen, die schon lange nicht mehr trocken waren.
Die Erwähnung Islands traf Siegfried wie ein Schlag von Fafnirs Pranke. Erinnerungen tanzten vor seinen Augen. Bilder, lang vergessen und doch nie verloren. Das Gefühl von kaltem Wasser auf der Haut. Der Schmerz des brechenden Handgelenks. Dunkle Augen unter langen schwarzen Haaren. Ein Geruch von Schweiß und Gier. Feuer im Leib.
Er strich sich über die Stirn, als könne er damit die Bilder vertreiben. Doch es war der Ring an seiner linken Hand, der sich schmerzend um seinen Finger zog, die dunklen Gedanken durch frische Qualen brechend. Siegfried versuchte, das Schmuckstück abzustreifen, doch es schien sich entschlossen festzuklammern.
Ihm wurde übel, und er stolperte von der Estrade, um einen ruhigeren Ort zu finden.
»Auf Island!«, rief Gunther nun. »Auf Brunhilde!«
Siegfried hörte den Namen, als er schon auf dem Weg aus dem Saal war. Der Ring an seinem Finger brannte nun wie Feuer, entschlossen, keinen anderen Gedanken als den Schmerz in seinem Geist zu dulden.
Wie viele Brunhildes mochte es in Island geben? Dutzende, Hunderte sicherlich. Es gab keinen Grund, an einen so perfiden Zufall zu glauben. Und selbst wenn? Was war schon geschehen? Was war schon versprochen worden aus Kindermund?
Hagen und Gunther sahen, wie Siegfried aus dem Saal taumelte, und tauschten überraschte Blicke. Sie hatten zwar erwartet, dass er von der Neuigkeit kaum überwältigt sein würde, aber sein Verhalten erschien etwas ... unangemessen.
Die Nachtluft war angenehm kühl, und Siegfried fand schnell einen Wassertrog, in den er die Hand mit dem Ring tauchte, dann seinen Kopf. Nun schien das Schmuckstück seine Taktik zu ändern. Der glühende Schmerz klang ab und machte einer verführerischen Wärme Platz, die sich vom Gold in seine Adern schlich. Der Druck im Kopf wich und auch der Stich im Herzen, den Brunhildes Name ausgelöst hatte. Der Ring gab Siegfried Frieden und den Gedanken an Kriemhild.
Nur Kriemhild.
Gunther erwachte mit dröhnendem Schädel und einer Zunge, die von Flechte bewachsen schien. Seine Augen wehrten sich dagegen, geöffnet zu werden, und sein Magen widersprach dem Wunsch des Körpers, aufzustehen.
Der König stöhnte leicht und stemmte sich dennoch aus dem Bett. Ein Kelch mit Resten roten Weins wie Blut lag auf dem Boden, ebenso die Kleider des letzten Tages. Gunther streckte sich, zwang seinen Geist zu klaren Gedanken und stand auf. Leicht schwankend ging er zum Fenster und blickte auf sein Reich.
Die Sonnenstrahlen des gestrigen Tages waren verblasst, dunkle Wolken türmten sich über Burgund. Der Himmel schien wütend auf Rache zu sinnen. Hofdiener schleppten die Reste des Gelages zu den Schweinen, und so mancher Soldat lag noch besinnungslos an eine Mauer gelehnt.
Gunther dachte an das Fest, und wie zur Strafe zuckte ein Schmerz durch seinen Schädel. Er rieb sich die Schläfen, den Drang zur Übelkeit unterdrückend.
Was er getan hatte, war richtig gewesen. Für ihn, für Siegfried und Kriemhild, für beide Reiche. Er würde Brunhilde für sich gewinnen, die Doppelhochzeit würde Burgund und Xanten auf ewig aneinander binden, und dann würde Frieden herrschen.
Endlich Frieden.
Und dennoch - Gunther fühlte eine Schuld. Sie nagte in ihm. Hatte er die Hand seiner Schwester nicht in Freundschaft und aus Freude gegeben, sondern aus Furcht und Berechnung? Konnte die rechte Tat beschmutzt sein, nur weil die Beweggründe nicht rein waren?
Er nahm einen Krug mit Wasser und schüttete es über seinen Kopf. Es kühlte die Schmerzen ebenso wie die Sorgen. Es war töricht, sich solche Gedanken zu machen. Burgund war nun reich und frei und bald mit einem Großreich durch Blut verbunden. Das Land stand besser da als jemals zuvor, seit die Römer mit ihren Kurzschwertern und Schilden vor Generationen gekommen waren, um es ihrem Reich einzuverleiben.
Gunther sah sein Gesicht in einem kleinen Spiegel an der Wand. Es war nass, stoppelig und blass. Aber es war das Gesicht eines guten Königs, eines gerechten Königs. Das Gesicht eines Königs, der sich mit Recht die isländische Königin zur Frau machen würde.
Er hoffte nur, dass Brunhilde nicht den schaurigen Legenden entsprach, die man sich von ihr erzählte.
Siegfried war mit einem schlechten Gewissen erwacht, das dem von Gunther in nichts nachstand. Man hatte ihm Kriemhilds Hand geboten -
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