01 - Der Ring der Nibelungen
Speer. Sie schien ihres Weges gehen zu wollen.
Ein Rabe krähte von einem Ast. Brunhilde legte den Kopf schräg, als höre sie dem Tier zu. Dann wandte sie sich zu Siegfried und bot ihm ihre Hand. »Hoch mit ihm.«
Siegfried hatte keine Lust, sich von einem . . . einem Mädchen auf die Beine helfen zu lassen, aber es mangelte ihm an Wahlmöglichkeiten. Sein Kopf dröhnte, sein linkes Handgelenk war nicht zu gebrauchen, und jeder Muskel in seinem Körper brannte wie Feuer. Am liebsten wäre er liegen geblieben - oder hätte versucht, sich einfach wieder in den kühlen Bach zu rollen.
Er nahm ihre Hand, und sie zog ihn mit erstaunlicher Leichtigkeit auf die Füße. Siegfried stand nun Auge in Auge vor der Kriegerin, die ihn eindeutig besiegt hatte. Wieder waren ihre Gesichter einander sehr nah. Nur hatte diesmal keiner von beiden den Drang, diese Nähe zu brechen.
Siegfried hatte ein unbestimmbares, neues Gefühl. Die Niederlage traf ihn tief, aber da war noch mehr. Er wollte wissen, wie Brunhilde roch, aber er fürchtete, dass sie es bemerkte. Stattdessen starrte er sie an.
Es war schon fast dunkel, aber Brunhilde strahlte im Mondlicht. Ihre Haut war wie Elfenbein, denn da, wo sie herkam, gab es den Geschichten nach nicht viele Sommertage. In deutlichem Gegensatz dazu standen ihre schwarzen Augen und das ebenso schwarze Haar. Sie hatte hohe Wangenknochen, und die Augen standen leicht schräg, wie bei einer Katze. Es war ein stolzes Gesicht, geprägt von gutem Blut. Keine Schönheit, die unter der Last des Alters leicht vergehen würde.
Auch Brunhilde sah den zerzausten Jungen an, den sie gerade in seine Schranken verwiesen hatte. »Hat er genug?«, fragte sie leise.
Sie hob die Hand, und er zuckte leicht zurück. Doch sie wischte ihm nur ein wenig Blut von der Wange.
Aus der Ferne war ein Horn zu hören, und zum ersten Mal zeigte Brunhildes Gesichtsausdruck so etwas wie Angst. »Das sind meine Leute. Ich muss weg.«
Sie wollte ihre Hand von Siegfrieds Gesicht zurückziehen, doch er hielt sie mit seinem gesunden Arm fest. »Geh nicht!«
Sie sah ihn an, und ein sanftes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Man lässt König Hakan nicht warten.«
Die Antwort überraschte Siegfried so sehr, dass er sie losließ. »König Hakan? Du kommst aus Island?«
Brunhilde pfiff kurz und scharf, und irgendwo aus dem Dunkel im Unterholz trabte ein kleines schwarzes Pferd herbei. Die junge Kriegerin nahm drei Schritte Anlauf und saß schnell auf ihrem Tier, ohne die Hände benutzt zu haben. »Will er mich wiedersehen?«
Siegfrieds Herz klopfte so stark, dass es ihm fast die Zunge lähmte. »Wenn die Götter es erlauben.«
Brunhilde lachte. »Die Götter würden ihm weniger Steine in den Weg legen als mein Vater. Wenn er weniger Narr und mehr Mann ist, soll er nach Island kommen. Ich werde auf ihn warten.«
Sie gab ihrem Pferd einen Tritt, und es galoppierte los. Der Rabe auf dem Baum stieß sich ebenfalls ab, um das Mädchen zu begleiten, das wohl seine Herrin war.
»Aber wie werde ich dich finden?«, rief Siegfried ihr hinterher.
Er konnte ihre Gestalt in der Nacht schon nicht mehr erkennen, als ihre Stimme eine letzte Antwort gab: »Jeder weiß, wo Island liegt. Und in Island weiß jeder, wer Brunhilde ist!«
Die Dunkelheit verschluckte sie endgültig. Siegfried stand noch lange da, wieder allein im Wald. Seine Gedanken waren wirr, sein Körper schmutziger, als er es nach der Eberjagd gewesen war, und die linke Hand hing wie ein nasser Lederbeutel an seinem Arm und schmerzte.
Schließlich entschloss er sich doch, so gut es seine ramponierten Knochen zuließen, ein weiteres Mal in den kleinen Bach zu steigen.
Er versuchte, weder auf den Schmerz zu achten, noch beständig an Brunhilde zu denken, doch beides misslang. Siegfried war es nicht gewohnt zu verlieren - schon gar nicht im Kampf mit einem Mädchen. Doch es machte ihm nun erstaunlich wenig aus. Brunhilde war keines der dummen Hühner aus dem Dorf. Ihre Kraft war eine Herausforderung, und ihre Einladung schien ein Versprechen.
Er wollte . . . nein, er würde . . . nein, er musste sie wiedersehen!
Es knackte leise, als sich wieder eine Gestalt im Mondlicht näherte. Siegfried wusste, dass es nicht Brunhilde sein konnte - und doch hoffte er darauf.
Regin war sichtlich überrascht, seinen Ziehsohn, der vor wenigen Stunden noch kraftstrotzend durch den Wald gesprungen war, völlig erschöpft und sichtlich verletzt vorzufinden.
»Bei den Göttern - was ist
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