01 - Der Ring der Nibelungen
Abenteuer, Heldentaten, Ruhm und Ehre.
Der Schmied hatte gehofft, den Jungen auf ein bescheidenes Leben vorbereiten zu können, wie er es Line versprochen hatte. Aber das war unmöglich.
Sie betraten das Beihaus, und Siegfried setzte sich an den Tisch. Regin gab ihm zwei Kellen Eintopf in die Holzschale, und der Junge begann sofort, ihn in sich hineinzuschaufeln.
»Eines Tages wirst du ersticken, weil du so schlingst«, mahnte der Schmied, »und dann wird nie ein großer Krieger aus dir.«
»Mette sagt, dass jedes Heer der umliegenden Königreiche mich nehmen würde«, brummelte Siegfried mit vollem Mund.
»Mette?« Regin schnaubte verächtlich. »Sie hat ihren Mann und ihre beiden Söhne an den Krieg verloren - sie sollte es besser wissen.«
Es passte ihm nicht, dass Siegfried sich mit einer Frau traf, die offensichtlich nur seine Lenden begehrte. Aber da war sie nicht die Einzige - im Dorf war Siegfried bei den Männern nicht gern gesehen, denn es gab kaum eine Ehefrau, die nicht ein Auge auf seine prächtigen Schenkel warf. Siegfried hatte leichtes Spiel bei den Mädchen - doch glücklicherweise noch keine große Ahnung, was die Regeln des Spiels waren.
»Im Dorf heißt es, die Sachsen und die Dänen könnten einander bald den Krieg erklären«, fuhr der Junge fort.
Regin gefiel diese Nachricht nicht. Sie bedeutete neue Unruhe. Seit dem Fall Xantens hatte es keinen größeren Kampf mehr gegeben. Wenn es Hjalmar gelang, nach Xanten auch die Sachsen zu unterjochen, dann war seine Macht im Norden kaum noch zu brechen.
Andererseits - wenn Thalrich Hjalmar einen verlustreichen Waffenstillstand abtrotzen konnte, dann war der Dänenkönig so verwundbar wie lange nicht mehr.
Es war schon lange nicht mehr seine Aufgabe, sich über Politik und Kriege Gedanken zu machen - und die Frage, warum das eine immer das Ergebnis des anderen war. Aber er wusste, dass Siegfrieds Schicksal eng mit dem Schicksal Xantens verknüpft war. Regin hatte nicht vor, seinen Ziehsohn als rechtmäßigen Erben Siegmunds in den sicheren Tod zu schicken. Er hoffte inständig, die Götter würden dem Jungen ein Leben in Frieden und Bescheidenheit erlauben.
»Wir sollten Waffen schmieden.« Siegfried schnalzte mit der Zunge. »Sie steigen im Preis.«
»Keine Waffen«, knurrte Regin. »Du weißt, wie ich darüber denke
Siegfried seufzte. Natürlich wusste er das. Regin erzählte es ihm ja immer wieder.
»Vielleicht sollten wir an den Hof von Xanten gehen«, schlug Siegfried nun vor. »Wenn wir schon keine Waffen schmieden - Rüstungen und Werkzeug dürften ebenfalls gesucht sein.« Er nahm sich noch mehr Eintopf aus dem Kessel.
Regin mühte sich, eine Antwort zu finden, die den Jungen nicht enttäuschte. Enttäuschungen waren wie Wasser, das auf einen Stein tropfte und ihn langsam durchbohrte.
»Wir werden an den Hof gehen«, nickte er schließlich.
Siegfried war von der Antwort so überrascht, dass er den Eintopf, den er gerade im Mund hatte, wieder in die Holzschüssel spuckte. Regin ermahnte sich, dem Jungen noch etwas mehr Tischmanieren beizubringen.
»Wirklich? Wir gehen nach Xanten?«
Siegfried hatte in seinem jungen Leben schon einige Dörfer gesehen und auch die eine oder andere Stadt. Er hatte bei Festen den Gauklern zugeschaut und kleineren Turnieren beigewohnt. Aber noch nie war er bei Hofe gewesen. Alles, was er davon wusste, hatten ihm durchreisende Söldner erzählt.
Aber da war noch mehr - Xanten lag auf dem Weg nach Norden. Und im Norden lag auch Island. Er hatte Regin nie von seiner Begegnung mit Brunhilde erzählt, doch Siegfried dachte noch immer an das Mädchen, das ihn bei dem Bach besiegt hatte. Sie hatte ihm schließlich ein Andenken gelassen - das steife linke Handgelenk, das manchmal, wenn ein Sturm aufzog, durch Schmerzen auf sich aufmerksam machte. Er fand es passend, dass er deshalb in den wildesten Gewitternächten an die junge Kriegerin denken musste.
Wenn sie in Xanten waren, dann konnten sie vielleicht auch nach Island Weiterreisen! Drei Jahre lang hatte er an sie gedacht, heimlich und mit heißem Verlangen. Drei lange Jahre, in denen er manchmal so verzweifelt gewesen war, dass er auszureißen erwogen hatte.
Regin schüttelte bedächtig den Kopf. »An den Hof - ja. Nach Xanten - nein.«
Siegfried sah ihn verständnislos an. »Aber wenn nicht nach Xanten - wohin dann?«
Regin hatte sich die Antwort auf diese Frage schon seit einigen Tagen überlegt. Es war klar, dass Siegfried eine Gelegenheit
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