01 - Der Ring der Nibelungen
»Weder habe ich das Blut seiner Könige, noch konnte ich es mit einem Heer erobern. Beides trifft auf meinen Mann zu.«
Auch wenn es Etzel betrübt haben mochte, dass Kriemhild kurz nach ihrer Begegnung einen anderen geheiratet hatte, so ließ er es sich nicht anmerken. »Die Geschichten vom mutigen Schmied Siegfried, der erst Drachentöter, dann König von Xanten wurde, drangen bis nach Gran. Es schmerzt, einen Mann dieser Größe nicht mehr kennen lernen zu dürfen.«
Die Königin hatte kein Interesse, lange über die Vergangenheit zu plaudern, wenn es doch die Zukunft war, die der Planung bedurfte. »So, wie die Nachrichten den langen Weg nach Osten schaffen, so dringt manches von den Hunnenstämmen bis an diesen Hof vor. Sagt, wann beabsichtigt Euer Vater, mit seinen Horden gegen die Reiche westlich des Rheins zu reiten?«
Es war keine Frage, sondern Provokation. Eine Provokation solchen Ausmaßes allerdings, dass der freundliche Schabernack darin offensichtlich wurde. Und entsprechend antwortete Etzel: »Wohl gar nicht mehr, wenn schon die mächtigsten Gegner den bevorstehenden Angriff gerochen haben.«
»Der mächtigste Gegner der Hunnen waren die Legionen Roms, wenn die Geschichtsschreiber nicht irren«, hielt Kriemhild dagegen. »Doch man sagt, Mundzuks Horden waren niemals in der Lage, gegen Rom zu ziehen. Der römische Adler mag viele Federn gelassen haben, aber seine Klauen sind noch kräftig, und sein Schnabel hackt unerbittlich.«
»Mein Vater wünscht Respekt für unser Volk, das Jahrhunderte nur auf dem Pferd gelebt hat. Doch die römischen Hunde betrachten uns als Barbaren, kaum den Peitschenhieb wert.«
Seine Augen, dunkel und unergründlich, blieben ruhig, verrieten keine Nervosität, und Kriemhild konnte sich nur vorstellen, wie der wache Geist des Hunnen versuchte, ihre Absichten zu erahnen. »Plant Ihr auch, Xanten und Dänemark zu überrollen?«
Kein Zögern war in Etzels Stimme. »Niemals. Und wenn Ihr selber es glauben würdet - meine Spione hätten mir von einer Verstärkung der Truppen an den südlichen Grenzen berichtet.«
Die Königin dachte einen Moment lang nach. »So sucht Mundzuks Griff - vorerst! - nur Burgund. Da es keinen Unterschied für Euren Schlachtplan macht: Ist meine Ablehnung Eures Werbens mit ein Grund für diesen Krieg?«
Etzel lachte, offen und frei. »Ihr nennt uns Wilde, aber Kriege führt der Hunne nicht für schöne Augen! Und wenn es Eure Absicht ist, einen durch diese Augen zu verhindern, so wird auch das Euch nicht gelingen.«
Genau das war Kriemhild zu prüfen bereit. Sie sah den Sohn des Hunnenkönigs geradeheraus an. »Meine Hand ist nicht mehr jung, und wer sie freit, freit eine Witwe. Doch die Witwe bringt mehr als die Prinzessin in die Ehe - ein Reich, das nicht erobert werden muss.«
Etzel war verblüfft, dass sich die Königin ihm so selbstlos bot, und ohne jede Scham. »Ihr würdet mit mir nach Gran ziehen, an meiner Seite regieren - für das Versprechen, Burgund nicht anzugreifen?«
Kriemhild nickte. »Ich will nicht Königin eines Krieges sein und Frau eines Soldaten.«
»Woher wollt Ihr wissen, dass Euer Liebreiz mich auch heute noch betört und dass Euer Versprechen so viel wiegt wie die Frucht des Krieges?«
»Die Frucht des Krieges, lieber Etzel, ist immer faul. Und wäret Ihr an dieser Ehe nicht noch interessiert - was hätte Euch dann den weiten Weg hierher getrieben, nur auf meine Bitte hin?«
Etzel lächelte. »Jeder andere Mann wäre empört, wie ein Pferd am Riemen geführt zu werden. Doch ich bewundere Euren Mut und Eure Verschlagenheit.«
Kriemhild schenkte zwei Kelche Wein ein und bot den gemeinsamen Trunk als Pakt. »Dann werden wir in Gran bald Hochzeit feiern.«
Als ob der Klang der Kelche unerträglich wäre, setzte nun leises Wimmern an, das zu einem lauten Weinen wurde. Kriemhild sprang vom Thron auf und eilte zu einer Krippe, die schräg dahinter stand. Etzel folgte ihr. »Ich hörte schon, dass Siegfried Euch nicht ganz allein gelassen hat.«
Die Königin nahm den Säugling hoch und wog ihn sanft in ihrem Arm. »Er ist die einzige Bedingung, die ich stellen muss. Sein Schicksal wiegt mehr als das meine.«
Etzel hob ruhig die Hand, den Blick auf dem kleinen Jungen. »Sei ohne Sorge, meine Königin - Euer Sohn wird nicht von Eurer Seite gerissen. Mit unserer Ehe nehme ich ihn als den meinen an. Er soll nicht weniger Respekt erfahren als alle seine Brüder, die noch kommen werden.«
Ein Gefühl durchfuhr
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