01 - Die verbotene Oase - Mein neues Leben im Harem der Frauen
nächtliche Schmerzen hinterherhinken.
Für Joshua hatte Magdalena schicke Sportsachen und -schuhe ausgesucht. Da mein Sohn noch nie in seinem Leben in einen Fernseher geguckt hatte, sagten ihm die Markennamen nichts. Überdies war mein sechsjähriger Junge ans Barfußlaufen so sehr gewöhnt, dass es mein Vorbild brauchte, um ihm in die Schuhe zu helfen.
Inzwischen trägt er sie leider nicht mehr; kurz danach hatte er einen Wachstumsschub. Er geht lieber mit nackten Füßen. Joshua ist eben ein echtes Naturkind. Das hat mittlerweile auch Magdalena eingesehen.
Ein großes Paket hatte die ganze Zeit unausgepackt bereitgelegen. Magdalena und Amara überreichten es mir - es war die Erfüllung meiner Wunschliste fürs Heilhaus. Wie ein kleines Kind freute ich mich darauf, mich am nächsten Tag ans Auspacken zu machen.
Die Versammlung löste sich nach stundenlangem Ausprobieren der neuen Sachen auf. Mama Ada, deren strenges Durchgreifen in solchen Momenten unerlässlich war, brachte die Kinder ins Bett. Ich führte Magdalena in mein früheres Zimmer, das inzwischen mit einem richtig großen Bett ausgestattet war, von Ada selbst gezimmert.
Meine Schwester blickte sich anerkennend um. Ostern 2000, als sie das einzige Mal hier gewesen war, hatte das Haus noch einem Schlachtfeld geglichen. Jetzt war sein kolonialer Charme immerhin noch an der Architektur zu erkennen: den großzügigen Räumen, der breiten Verandafront, dem hohen Walmdach.
Doch der Putz an den Wänden löste sich ebenso auf wie die Bohlen der Veranda. Immerhin waren die Zimmer gemütlich, die Veranda unser eigentliches Wohnzimmer. Ich wusste, dass wir für örtliche Verhältnisse geradezu königlich lebten. Das Dach, ein Flickwerk verschiedenster Altbleche, trotzte den sintflutartigen Regenfällen, die auch später in dieser Nacht wieder einsetzten.
Nachts wird es bei uns auf dem Jos-Plateau oft empfindlich kühl. Daher verteilte Mama Bisi fürsorglich Decken und Becher mit heißem Tee. Magdalena musterte mich. „Du bist schmaler geworden, Choga Regina. Mir scheint, dass du sehr viel arbeitest.“
Wir unterhielten uns auf Englisch, so wie wir es bei Magdalenas erstem Besuch in Nigeria gemacht hatten, wenn die anderen Frauen anwesend waren. Sie sollten in unser Gespräch einbezogen werden und nicht das Gefühl bekommen, ich wollte meine Schwester für mich allein haben.
Bisi und Ada berichteten vom Heilhaus und der Schule und Amara war von unserem Fleiß begeistert. Auch ich glaubte, unsere Bilanz könne sich sehen lassen. Doch dann legte Magdalena den Finger in eine kleine Wunde. „Joshua scheint nur noch wenig Deutsch zu sprechen.“ Das war mir auch aufgefal-len, als er seine Tante begrüßt hatte. Ich redete mit ihm zumeist Englisch, oft sogar das ortsübliche Haussa, wenn andere dabei waren.
Doch Joshs Bemerkung, auf die meine Schwester sich bezog, war zutreffend.
Die fast grauen Haare umrahmten Magdalenas schmales, leicht gebräuntes Gesicht zwar sehr modisch, ließen sie allerdings älter erscheinen, als sie mit ihren fast 43 Jahren tatsächlich war. Sie hatte in Deutschland viel zurückgelassen und suchte einen neuen Lebensinhalt. Dieser Gedanke machte mir auch Angst. Hatte ich überhaupt die Kraft, meiner wiedergefundenen Schwester Halt zu geben?
Ich sprach all das nicht aus. Dass die Geborgenheit unserer Gemeinschaft auch Magdalena schützen könnte, daran zweifelte ich keinen Moment.
Zärtlich legte Mama Bisi Magdalena die Decke um die Schultern und sorgte dafür, dass sie genug Tee hatte. Ich erinnerte mich an die Innigkeit, mit der sie einst „ihre“ Lisa verwöhnt hatte. Magdalena war jetzt in dem Alter, in dem meine Mutter in Papa Davids Harem gekommen war. Wurde ich etwa Zeugin, wie sich hier etwas wiederholte, wie sich die Weltenuhr unmerklich um Jahrzehnte zurückdrehte? Nicht für mich, sondern für Bisi...
Magdalena riss mich aus meinen Gedanken. „Wie viele Kinder werde ich eigentlich unterrichten?“, fragte sie.
„Klingt sie nicht wie Lisa?“ Amara blickte Ada und Bisi amüsiert an. Dann sagte sie zu uns Schwestern: „Wisst ihr eigentlich, dass eure Mutter meinen Hausangestellten Unterricht gegeben hat, kaum dass sie sich von einer schweren Depression erholt hatte? Sie mochte niemals zusehen, sondern griff immer ein. Lisa war eine starke Frau.“ Mit ihren großen Händen rieb Amara sich die Augen. Für sie war Mutters Tod noch immer eine Wunde; obwohl die beiden Frauen sehr unterschiedlich gelebt hatten, waren sie
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