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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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einer mehr oder weniger war.
    Nach vierzig Minuten war das Muster klar. Der Roadrunner bog rasch rechts ab und blieb am Ende des Blocks stehen. Kelly erwog, wie er sich jetzt am besten verhielt, und fuhr langsam weiter. Als er näher kam, sah er ein Mädchen aussteigen, das eine kleine Tasche trug. Sie ging zu seinem alten Freund Wizard hinüber, der einige Blocks von seinem Stammplatz entfernt war. Kelly konnte keine Übergabe irgendwelcher Art sehen - die zwei gingen in ein Gebäude und blieben ein paar Minuten verschwunden, bis das Mädchen wieder herauskam -, aber das brauchte er auch nicht. Der Vorgang entsprach dem, was Pam ihm beschrieben hatte. Besser noch, es nagelte Wizard fest, sagte sich Kelly, der jetzt links abbog und auf eine rote Ampel zufuhr. Jetzt wußte er zwei Dinge, die ihm vorher nicht bekannt gewesen waren. Im Rückspiegel sah er den Roadrunner die Straße überqueren. Das Mädchen ging in dieselbe Richtung und verschwand aus dem Blickfeld, als die Ampel umschaltete. Kelly bog zweimal rechts ab, da hatte er den Plymouth wieder im Blick, der mit drei Insassen nach Süden fuhr. Den Mann - wahrscheinlich war es einer -, der hinten hockte, hatte er bisher noch nicht gesehen.
    Die Dunkelheit, die für Kelly günstige Zeit, kam schnell. Er folgte weiter dem Roadrunner, schaltete die Scheinwerfer erst an, als es unumgänglich war, und sah ihn schließlich vor einem Sandsteinhaus an einer Ecke halten, wo alle drei Insassen ausstiegen. Die Lieferungen an vier Dealer für diese Nacht waren erledigt. Kelly gab ihnen ein paar Minuten, parkte sein Auto einige Blocks entfernt und ging zu Fuß zum Beobachten zurück, wieder als betrunkener Tippelbruder getarnt. Die Architektur hier machte es ihm leichter. Alle Häuser auf der anderen Straßenseite hatten marmorne Eingangstreppen, große, rechteckige Steinblöcke, die gute Dekkung gaben. Er brauchte sich bloß auf den Gehsteig zu setzen und sich an sie zu lehnen, schon wurde er von hinten nicht mehr gesehen. Er suchte sich die günstigste Treppe nahe, aber nicht zu nahe an einer funktionierenden Straßenlaterne aus, die ihm einen schönen Schatten bot, in dem er sich verbergen konnte; und überhaupt, wer beachtete schon einen Penner? Kelly nahm die gleiche zusammengekauerte Haltung ein, die er bei anderen gesehen hatte, hob gelegentlich seine in der braunen Einkaufstüte steckende Flasche an den Mund, als wollte er trinken, und beobachtete das Eckhaus, mehrere Stunden lang.
    Blutgruppen 0 positiv, 0 negativ und AB negativ, fiel ihm aus dem gerichtsmedizinischen Bericht wieder ein. Pam hatte Samen von diesen Blutgruppen in sich gehabt und während er dort dreißig Meter vom Haus entfernt saß, fragte er sich, welche Blutgruppe Billy wohl hatte. Auf der Straße war viel Verkehr, der Gehsteig voller Leute. Vielleicht drei Vorbeigehende hatten einen kurzen Blick auf ihn geworfen, mehr aber auch nicht, denn er tat so, als ob er schliefe, beobachtete das Haus aus fast geschlossenen Augen und lauschte dabei im Verlauf all dieser Stunden auf jedes erdenkliche Geräusch, das Gefahr bedeuten konnte. Ein Dealer tätigte etwa fünfzehn Meter hinter ihm auf dem Gehsteig seine Geschäfte, und John lauschte auf die Stimme des Mannes, hörte zum erstenmal, wie er sein Produkt beschrieb und den Preis aushandelte. Er bekam natürlich auch die Stimmen der Kunden mit. Kelly hatte schon immer ungewöhnlich gut gehört – das hatte ihm mehr als einmal das Leben gerettet -, und auch hier erhielt er eine wertvolle Feindinformation, die er im Verlauf der Stunden im Geiste katalogisierte und analysierte. Ein streunender Hund kam zu ihm heran, beschnupperte ihn neugierig und freundlich, und Kelly scheuchte ihn nicht fort. Das hätte nicht zu seiner Rolle gepaßt - wenn es eine Ratte gewesen wäre, hätte es wohl anders ausgesehen -, und seine Tarnung mußte unbedingt aufrechterhalten werden.
    Was war das einmal für ein Viertel gewesen? fragte sich Kelly. Auf seiner Seite befanden sich ziemlich durchschnittliche Backsteinreihenhäuser. Die andere Seite unterschied sich ein bißchen davon, denn die solideren Sandsteinhäuser waren wohl um die Hälfte breiter. Vielleicht war diese Straße die Grenze gewesen zwischen einfachen Arbeiterfamilien und den etwas wohlhabenderen Angehörigen des mittleren Bürgertums um die Jahrhundertwende. Vielleicht war jener Sandsteinbau das vornehme Heim eines Händlers oder Schiffskapitäns gewesen. Vielleicht war dort an Wochenenden ein Klavier erklungen,

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