01 - Gnadenlos
hatte das überhaupt nichts zu tun, weil das ganze sich entladende Gas des Pulvers innerhalb des Schußkanals in Juniors Körper drang. Die leichte Trapladung - eine Messingpatrone mit Achter-Vogelschrot wie man sie beim Sportschießen oder eventuell einer Taubenjagd verwendet - hätte einen Mann auf mehr als zehn Meter nur verletzt, aber in Kontakt mit seiner Brust hätte es genausogut ein Elefantengewehr sein können. Die gewaltige Explosionskraft trieb mit einem überraschend lauten Wuusch die Luft aus der Lunge und öffnete gewaltsam Juniors Mund, als wäre er überrascht. Und das war er wahrlich auch. Seine Augen starrten auf Kelly, da war Junior noch am Leben, obwohl sein Herz bereits so zerplatzt war wie ein Kinderluftballon und von den unteren Lungenflügeln nur noch Fetzen übrig waren. Aus der Wunde trat nichts aus. Der nach oben gerichtete Schlag ließ die geballte Energie der Geschosse in der Brust verpuffen, und die Gewalt der Explosion hielt den Körper eine Sekunde lang aufrecht - nicht länger, aber für Junior und Kelly schien es Stunden zu dauern. Dann fiel die Gestalt einfach um, wie ein in sich zusammenstürzendes Gebäude, Es gab einen sonderbaren, tiefen Seufzer, als Luft und Gase durch den Sturz aus dem Einschußloch ausgetrieben wurden, ein fauliger Geruch nach beißendem Rauch, Blut und anderen die Luft verpestenden Stoffen, der stimmige letzte Lebenshauch. Junior hatte die Augen noch offen, schaute immer noch zu Kelly und versuchte, den Blick an dessen Gesicht festzuhalten und etwas zu sagen, der Mund offen und zitternd, bis sich nichts mehr rührte und die Frage nicht gestellt und nicht beantwortet war. Kelly wand das Bündel Scheine aus Juniors noch festem Griff und ging weiter die Straße entlang, während er Augen und Ohren nach Gefahren offenhielt, aber keine entdecken konnte. An der Ecke trat er an den Rinnstein und schwenkte die Spitze des Schlagrohrs in etwas Wasser, um eventuell anhaftendes Blut wegzuspülen. Dann bog er ab und steuerte immer noch langsam und torkelnd auf sein Auto zu. Nach vierzig Minuten war er in der Wohnung, um achthundertvierzig Dollar reicher und eine Schrotpatrone ärmer.
»Und wer ist das jetzt?« fragte Ryan.
»Ob Sie's glauben oder nicht, Bandanna«, erwiderte der uniformierte Beamte. Er war ein erfahrener Streifenbeamter, weiß, zweiunddreißig Jahre alt. »Handelt mit üblem Zeug. Na ja, jetzt nicht mehr.«
Die Augen waren noch offen, was bei Mordopfern nicht allzu häufig vorkam, aber hier war der Tod überraschend gekommen, überaus traumatisch noch dazu. Dennoch war die Leiche in verblüffend ordentlichem Zustand. Sie hatte ein zwei Zentimeter großes Einschußloch mit einem pechschwarzen Ring in Form eines Donuts darum, der wahrscheinlich nicht dicker als dreißig Millimeter war. Das kam vom Pulver, und der Durchmesser des Lochs stammte unverkennbar von einer .12er Schrotflinte. Unter der Haut war nur ein Loch, als handelte es sich um eine leere Schachtel.
Alle inneren Organe hatte es entweder zerfleischt, oder sie waren durch die Schwerkraft nach unten gesackt. Emmet Ryan blickte zum erstenmal in seinem Leben in einen toten Körper, als wäre das gar kein Körper, sondern eine Modepuppe.
»Todesursache ist die völlige Verdampfung seines Herzens. Herzgewebe werden wir wohl nur noch unterm Mikroskop identifizieren können. Steak Tatar«, stellte der Leichenbeschauer mit frühmorgendlichem Sarkasmus fest.
»Eindeutig eine Kontaktwunde. Der Kerl muß ihm den Lauf direkt aufgesetzt und dann abgedruckt haben«, fügte der Mann kopfschüttelnd hinzu.
»Mein Gott, er hat nicht einmal Blut gespuckt«, sagte Douglas. Da es keine Austrittsöffnung gab, war auf dem Gehsteig kein Blut, und von weitem sah Bandanna tatsächlich so aus, als würde er schlafen - wären da nicht die weit offenen, leblosen Augen gewesen.
»Kein Zwerchfell«, erklärte der Leichenbeschauer und deutete auf das Einschußloch. »Das liegt zwischen hier und dem Herzen. Wir werden womöglich feststellen, daß sich auch die Lunge komplett aufgelöst hat. Wissen Sie, so etwas Sauberes habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.« Dabei übte der Mann schon seit sechzehn Jahren seinen Beruf aus. »Da brauchen wir eine Menge Fotos. Der hier wird Eingang in ein Lehrbuch finden.«
»Wieviel Erfahrung hatte er?« fragte Ryan den Uniformierten.
»Genug, daß er es hätte besser wissen können.«
Der Kommissar bückte sich und fühlte an der linken Hüfte nach.
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