01 - Gnadenlos
berichtet worden ist, sogar mehr. Wir planen doch gerade, wie wir die Rodina gegen die Chinesen verteidigen können. Er ist der Leiter des Blue Team.«
»Was?« Der General blinzelte. »Erläutern Sie!«
»Dieser Mann ist Kampfpilot, aber auch ein Fachmann, wenn es darum geht, die Flugabwehr zu überlisten. Ob Sie es glauben oder nicht, er ist in Bombern nur als Gast geflogen, aber er hat tatsächlich Einsätze des strategischen Luftkommandos geplant und mitgeholfen, deren Doktrin zur Vermeidung und Ausschaltung der Abwehr festzulegen. Und jetzt tut er das für mich.«
»Aufzeichnungen?«
Grischanows Gesicht verfinsterte sich. »Drüben im Lager. Unsere brüderlichen sozialistischen Genossen › studieren‹ sie. Genosse General, wissen Sie, wie wichtig diese Daten sind?«
Der General war von Berufs wegen ein Panzeroffizier, kein Flieger, aber er war auch einer der hellsten Sterne, die gerade am sowjetischen Firmament aufstiegen. Hier in Vietnam befand er sich, um alles genau zu studieren, was die Amerikaner taten. Es war eine der allerwichtigsten Aufgaben im Militärdienst seines Landes.
»Ich kann mir vorstellen, daß sie höchst wertvoll sind.«
Kolja beugte sich vor. »In weiteren zwei Monaten, vielleicht schon in sechs Wochen, werde ich in der Lage sein, die Pläne des Luftkommandos nachzuvollziehen. Ich werde so wie sie denken können. Ich werde nicht nur wissen, was ihre derzeitigen Pläne sind, sondern auch imstande sein, ihre Denkweise für die Zukunft nachzuvollziehen. Entschuldigen Sie, ich hege nicht die Absicht, mich wichtig zu machen«, sagte er aufrichtig. »Dieser eine Amerikaner gibt mir einen Fortgeschrittenenkurs in amerikanischer Denkweise und Philosophie. Ich habe ja die geheimdienstlichen Einschätzungen gesehen, die wir von KGB und GRU bekommen. Mindestens die Hälfte davon stimmt nicht. Und das ist bloß ein Mann. Ein anderer hat mir von ihrer Flugzeugträgerstrategie berichtet, ein weiterer von den Kriegsplänen der NATO. Da ist noch mehr drin, Genosse General.«
»Wie schaffen Sie das, Nikolaj Jewgenjewitsch?« Der General war neu auf seinem Posten und hatte Grischanow bisher erst einmal getroffen, aber er wußte auch, daß dessen militärischer Ruf nicht exzellenter hätte sein können.
Kolja lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Freundlichkeit und Mitgefühl.«
»Mit unseren Feinden?« fragte der General scharf.
»Lautet unser Auftrag, diesen Männern Schmerzen zuzufügen?« Er deutete nach draußen. »Das tun die, und was kriegen sie dafür? Hauptsächlich gut klingende Lügen. Meine Abteilung in Moskau hat beinahe alles, was diese kleinen Affen geschickt haben, unbeachtet gelassen. Mir ist aufgetragen worden, echte Informationen einzuholen. Und genau das tue ich. Ich nehme jede Kritik in Kauf, um solche Informationen zu bekommen, Genosse.«
Der General nickte. »Also, warum sind Sie hier?«
»Ich brauche mehr Leute! Es ist für einen allein zuviel. Was ist, wenn ich getötet werde, wenn ich Malaria oder eine Lebensmittelvergiftung bekomme; wer wird meine Arbeit weiterführen? Ich kann nicht alle diese Gefangenen persönlich verhören. Besonders jetzt, da sie zu reden beginnen, brauche ich für jeden immer mehr Zeit, und mir geht die Kraft aus. Ich verliere den Faden. Der Tag hat nicht genügend Stunden.«
Der General seufzte. »Ich hab's versucht. Sie bieten Ihnen ihre besten... «
Grischanow schnaubte beinahe vor Enttäuschung. »Ihre besten was? Ihre besten Barbaren? Das würde meine Arbeit zunichtemachen. Ich brauche Russen, Männer, kulturnyMänner! Piloten, erfahrene Offiziere. Ich verhöre ja keine einfachen Soldaten. Das sind echte, berufsmäßige Kämpfer. Ihre Kenntnisse sind für uns von hohem Wert. Sie wissen viel, weil sie intelligent sind, und weil sie intelligent sind, werden sie auf grobe Methoden nicht ansprechen. Wissen Sie, was ich wirklich zur Unterstützung brauche? Einen guten Psychiater. Und noch eins«, fügte er hinzu, wobei er innerlich vor seinem eigenen Wagemut zitterte.
»Psychiater? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein. Ich bezweifle sowieso, ob wir weitere Männer ins Lager bringen können. Moskau verzögert die Lieferung von Flugabwehrraketen aus ›technischen Gründen‹. Unsere Verbündeten hier machen wieder Schwierigkeiten, wie schon gesagt, und die Verstimmung wächst.« Der General lehnte sich zurück und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Was ist das andere?«
»Hoffnung, Genosse General. Ich brauche Hoffnung.« Oberst
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