01 - Gnadenlos
Nikolaj Jewgenjewitsch Grischanow hielt sich mühsam in der Gewalt.
»Erklären Sie.«
»Einige dieser Männer sind sich über ihre Lage im klaren. Womöglich haben alle schon einen Verdacht. Sie sind gut darüber unterrichtet, was Gefangenen hier geschieht, und sie wissen, daß sie einen ungewöhnlichen Status genießen. General, diese Männer besitzen ein enzyklopädisches Wissen. Nützliche Informationen, von denen wir jahrelang zehren können.
»Sie wollen auf etwas hinaus.«
»Wir können sie nicht sterben lassen«, sagte Grischanow, der sich augenblicklich korrigierte, um den Eindruck seiner Worte zu mildern. »Nicht alle. Aber ein paar von denen brauchen wir. Einige werden uns dienen, aber ich muß ihnen etwas dafür bieten können.«
»Sie zurückbringen?«
»Nach der Hölle, die sie hier durchgemacht haben... «
»Es sind unsere Feinde, Oberst! Sie sind allesamt dafür ausgebildet, uns zu töten! Sparen Sie sich Ihr Mitgefühl für Ihre eigenen Landsleute!« knurrte der Mann, der im Schnee vor Moskau gekämpft hatte.
Grischanow hielt die Stellung, genau wie es der General damals getan hatte. »Es sind Menschen, die uns nicht unähnlich sind, Genosse General. Sie besitzen nützliches Wissen. Wir müssen nur schlau genug sein, es ihnen aus der Nase zu ziehen. Es ist so einfach. Ist es denn zuviel verlangt, darum zu bitten, sie nett zu behandeln, ihnen etwas dafür zu geben, daß wir erfahren haben, wie wir unser Land vor möglichem Schaden bewahren können? Wir könnten sie foltern, so wie unsere ›brüderlichen sozialistischen Verbündeten‹, und was bekämen wir dafür? Rein gar nichts! Nennt sich das Dienst am Vaterland?« Darauf lief es doch hinaus, und der General wußte es. Er warf dem Oberst der Luftverteidigung einen Blick zu, und der erste Gedanke, den er aussprach, war der naheliegendste.
»Wollen Sie Ihre Karriere und meine gleich mit aufs Spiel setzen? Mein Vater gehört leider nicht dem Zentralkomitee an.« Diesen Mann hätte ich in meinem Bataillon gebrauchen können...
»Ihr Vater ist Soldat gewesen«, betonte Grischanow. »Und er war wie Sie ein guter Soldat.« Es war ein raffiniertes Spiel, beide wußten das, doch im Grunde zählten einzig Logik und Bedeutung von Grischanows Vorschlag, ein Spionagecoup, der die Berufsspione von KGB und GRU vor den Kopf stoßen würde. Für einen wahren Soldaten mit echtem Pflichtbewußtsein gab es nur eine mögliche Reaktion.
Generalleutnant Jurij Konstantinowitsch Rokossowskij zog eine Flasche Wodka aus seiner Schreibtischschublade. Es war ein Starka, dunkel, trüb, der beste und teuerste. Er schenkte zwei Gläschen ein.
»Ich kann Ihnen nicht mehr Männer besorgen. Auf keinen Fall kann ich Ihnen einen Arzt herholen, nicht einmal einen in Uniform, Kolja. Aber ich werde versuchen, Ihnen etwas Hoffnung zu verschaffen.«
Der dritte Anfall seit ihrer Ankunft in Sandys Haus war nicht mehr so heftig, aber immer noch besorgniserregend. Sarah hatte sie mit einer Barbituratinjektion sediert, die so mild war, wie sie es gerade noch für vertretbar hielt. Die Ergebnisse der Blutuntersuchung waren gekommen, und sie machten deutlich, daß Doris eine wahre Anhäufung von Problemen war. Zwei verschiedene Geschlechtskrankheiten, eine weitere nachweisliche Infektion des Organismus und möglicherweise eine bald ausbrechende Zuckerkrankheit. Sarah bekämpfte die ersten drei Probleme bereits mit einer starken Dosis Antibiotika. Das vierte würde über die Ernährung behandelt und später genauer geprüft werden. Die Spuren körperlicher Mißhandlung waren für Sarah wie etwas aus einem Alptraum von einem anderen Kontinent und einer anderen Epoche, aber es waren die seelischen Nachwirkungen davon, die man am meisten fürchten mußte, selbst in diesem Moment, wo Doris Brown die Augen schloß und einschlummerte.
»Doktor, ich... «
»Sandy, bitte nennen Sie mich doch Sarah! Wir sind doch bei Ihnen zu Hause.«
Schwester O'Toole brachte ein verlegenes Lächeln zustande. »Okay, Sarah. Ich mach mir Sorgen.«
»Ich genauso. Ich mache mir Sorgen um ihre körperliche Verfassung und auch um ihren seelischen Zustand. Und ihre ›Freunde‹ lassen mir keine Ruhe... «
»Ich mach mir Sorgen um John«, setzte Sandy dagegen. Doris war in guter Obhut. Das konnte sie sehen. Sarah Rosen war eine begabte Ärztin, hatte aber auch etwas von einem Krieger an sich, wie es bei vielen guten Medizinern der Fall war.
Sarah verließ das Zimmer. Unten gab es Kaffee. Sie ging dem Geruch
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