01 - Gnadenlos
dann der Tumult hinter ihr, als sie sich ihres Patienten annahm - aber was war dann gewesen? Etwas völlig anderes als beim erstenmal. Kellys Gesicht hatte sich verwandelt. Nur einen Augenblick lang, wie wenn sich eine Tür zu einem anderen Ort öffnet, und dabei hatte sie etwas gesehen, was sie sich niemals hätte vorstellen können. Etwas sehr Altes, Barbarisches und Häßliches. Die Augen nicht schreckensweit, sondern fest auf etwas gerichtet, was sie selber nicht sehen konnte. Sein Gesicht nicht vor Schock so bleich, sondern vor Zorn. Seine Hände, die sich für einen kurzen Moment zu bebenden, steinharten Fäusten ballten. Gleich darauf hatte sich sein Gesicht wieder verändert. Verständnis war an die Stelle blinden, mörderischen Zorns getreten, und was sie als nächstes gesehen hatte, war das Gefährlichste gewesen, was sie je zu Gesicht bekommen hatte, wenn sie auch nicht wußte, warum. Dann war die Tür wieder zugegangen. Kelly hatte die Augen geschlossen, und als er sie öffnete, war sein Gesicht unnatürlich gelöst gewesen. Das Ganze hatte keine vier Sekunden gedauert, wurde ihr jetzt bewußt, alles in der Zeit, während der Rosen und Douglas an der Wand miteinander gerungen hatten. Entsetzen, Zorn und Verständnis hatten sich in seinem Gesicht gespiegelt - dann endlich eine Abschottung, aber was zwischen dem Verständnis und der Verschleierung gekommen war, war das Erschreckendste von allem gewesen.
Was hatte sie im Gesicht dieses Mannes gesehen? Sie brauchte eine Weile, um diese Frage zu beantworten. Den Tod hatte sie gesehen. Kontrolliert. Geplant. Diszipliniert.
Ja, es war der Tod, der im Geist eines Mannes sein Unwesen trieb.
»Ich mache so was wirklich nicht gern, Mr. Kelly«, sagte Douglas im Krankenzimmer, während er seinen Mantel ordnete. Der Kommissar und der Chirurg warfen sich gegenseitig verlegene Blicke zu.
»John, bist du in Ordnung?« Rosen sah ihn prüfend an und nahm rasch seinen Puls, der überraschenderweise fast normal war.
»Ja.« Kelly nickte. Er richtete den Blick auf den Kriminalbeamten. »Das ist sie. Das ist Pam.«
»Es tut mir leid; es tut mir wirklich leid«, sagte Douglas voller Aufrichtigkeit. »Wir können es Ihnen nicht leichter machen, das geht nie. Was auch geschehen ist, es ist vorbei, und jetzt ist es unsere Aufgabe, die Täter ausfindig zu machen. Dazu brauchen wir Ihre Hilfe.«
»Okay«, sagte Kelly gleichgültig. »Wo ist Frank? Wie kommt es, daß er nicht hier ist?«
»Er kann nicht in diese Untersuchung einbezogen werden«, antwortete Sergeant Douglas mit einem Blick auf den Chirurgen. »Er kennt Sie. Persönliche Interessen bei einer polizeilichen Ermittlung sind nicht gerade besonders professionell.« Das stimmte nicht ganz - tatsächlich stimmte es so gut wie gar nicht -, aber es erfüllte seinen Zweck. »Haben Sie die Leute gesehen, die Sie... «
Kelly schüttelte den Kopf. Er blickte auf sein Bett und sprach beinahe flüsternd. »Nein. Ich habe in die andere Richtung geschaut. Sie hat etwas gesagt, aber ich habe mich nicht umdrehen können. Pam hat sie gesehen. Ich habe mich erst nach rechts gewandt, dann nach links. Ich hab's nicht mehr geschafft.«
»Was haben Sie zur Tatzeit gemacht?«
»Beobachtet. Hören Sie, Sie haben doch mit Allen gesprochen?«
»Das ist richtig.« Douglas nickte.
»Pam war Zeugin eines Mords. Ich war mit ihr unterwegs zu einem Gespräch mit Frank.«
»Und weiter?«
»Sie hatte mit Leuten zu tun, die mit Drogen handeln. Sie hat gesehen, wie die jemand umgebracht haben, ein Mädchen. Ich habe ihr gesagt, sie sollte etwas unternehmen. Ich war neugierig, was da los war«, sagte Kelly tonlos, da er sich immer noch in seinen Schuldgefühlen suhlte, während sein Geist sich die Bilder wieder vor Augen rief.
»Namen?«
»Ich kann mich an keine erinnern«, antwortete Kelly.
»Kommen Sie«, meinte Douglas und beugte sich vor. »Sie muß Ihnen doch irgendwas verraten haben.«
»Ich hab nicht viel Fragen gestellt. Ich war der Meinung, das ist Ihr Job - ich meine, der von Frank. Wir sollten uns an diesem Abend mit Frank treffen. Ich weiß nur, es geht um einen Klüngel von Drogendealern, die Frauen für irgend etwas einsetzen.«
»Mehr wissen Sie nicht?«
Kelly blickte ihm geradewegs in die Augen. »Nein. Nicht sehr hilfreich, was?«
Douglas wartete ein paar Sekunden, bis er weitermachte. Was ein wichtiger Durchbruch bei einem bedeutenden Fall hätte sein können, wollte sich nicht einstellen, und so mußte er wieder zu
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