01 - Gnadenlos
besonders.
»Okay.«
»Ich kann - ich sollte dich noch etwas besser mit Medikamenten versorgen. Ich hab versucht, sie gering zu dosieren, ich übertreib nicht gerne, aber sie werden dir helfen, dich zu entspannen, John.«
»Mich noch mehr unter Drogen setzen?« Kelly hob den Kopf mit einem Ausdruck, den Rosen nie wieder sehen wollte. »Glaubst du echt, das ändert noch was, Sam?«
Rosen schaute weg. Nun, da es möglich gewesen wäre, konnte er seinem Freund nicht in die Augen sehen. »Du darfst jetzt in ein normales Bett. Ich werde dich in ein paar Minuten dahin verlegen lassen.«
»Okay.«
Der Chirurg wollte noch mehr sagen, fand aber nicht die richtigen Worte. Deshalb schwieg er und ging.
Sandy O'Toole mußte noch zwei andere Schwestern zu Hilfe holen, um Kelly behutsam in ein normales Krankenhausbett zu verlegen. Sie stellte das Kopfteil hoch, um den Druck auf seine verletzte Schulter zu mindern.
»Ich hab's gehört«, sagte sie ihm. Es bedrückte sie, daß er nicht so trauerte, wie es eigentlich richtig war. Er war ein zäher Bursche, aber doch kein Narr. Vielleicht gehörte er zu der Art von Männern, die nur weinen können, wenn sie allein sind, aber Sandy war sich sicher, daß er das noch nicht getan hatte. Und dabei wußte sie doch, wie notwendig es war. Tränen setzten Gifte aus dem Inneren frei. Wenn sie nicht freigesetzt wurden, konnten diese Gifte so tödlich wirken wie die echten Substanzen. Die Schwester setzte sich zu ihm ans Bett. »Ich bin Witwe«, sagte sie ihm.
»Vietnam?«
»Ja. Tim war Captain in der Ersten Kavallerie.«
»Tut mir leid«, sagte Kelly, ohne den Kopf zu wenden.
»Die haben mich mal rausgehauen.«
»Es ist schwer, ich weiß.«
»Nächste Woche wird es ein Jahr, ich meine, daß ich Tish verloren habe, und jetzt... «
»Sarah hat's mir erzählt. Mr. Kelly... «
»John«, sagte er sanft. Er brachte es nicht über sich, ihr gegenüber abweisend zu sein.
»Danke, John. Ich heiße Sandy. Nur weil Sie Pech hatten, sind Sie noch kein schlechter Mensch«, tröstete sie ihn mit einer Stimme, die meinte, was sie sagte, auch wenn sie nicht ganz so klang.
»Es war kein Pech. Sie hat mir erzählt, es wäre gefährlich dort, und ich hab sie trotzdem mitgenommen, weil ich es mit eigenen Augen sehen wollte.«
»Sie sind beinahe umgebracht worden, weil Sie sie beschützen wollten.«
»Ich habe sie nicht beschützt, Sandy. Ich habe sie ermordet.« Kellys Augen waren weit offen und blickten zur Decke.
»Ich war unvorsichtig und dumm, und ich habe sie ermordet.«
»Ermordet haben sie andere Leute, und genauso haben andere Leute sie selbst zu ermorden versucht. Sie sind ein Opfer.«
»Kein Opfer, bloß ein Dummkopf.«
Das werden wir später regeln, sagte sich Schwester O'Toole.
»Was war sie für ein Mädchen?«
»Ein unglückliches.« Kelly strengte sich an, ihr ins Gesicht zu sehen, aber das machte alles noch schlimmer. Er gab der Schwester eine kurze Zusammenfassung des Lebens der verstorbenen Pamela Starr Madden.
»Da haben Sie ihr nach all den Männern, die sie verletzt und mißbraucht haben, etwas gegeben, was sie noch von keinem bekommen hat.« O'Toole verstummte, wartete auf eine Erwiderung, erhielt aber keine. »Sie haben ihr doch Liebe gegeben?«
»Ja.« Kelly überlief ein Schauer. »Ja, ich habe sie geliebt.« »Lassen Sie es raus«, riet ihm die Schwester. »Es muß sein.« Erst schloß er die Augen. Dann schüttelte er den Kopf.
»Ich kann's nicht.«
Das wird ein schwieriger Patient, sagte sie sich. Dieser Männlichkeitskult war ihr fremd. Sie kannte ihn von ihrem Mann her, der eine Dienstzeit in Vietnam als Lieutenant abgeleistet hatte und dann nochmals als Kompaniechef zurückgegangen war. Er war nicht begeistert gewesen von der Idee, hatte sich auch nicht darauf gefreut, aber er hatte sich auch nicht gedrückt. Das gehöre nun mal zum Beruf, hatte er ihr in ihrer Hochzeitsnacht gesagt, zwei Monate vor seiner Abkommandierung. Ein dummer, vernichtender Auftrag hatte sie ihres Mannes beraubt und - so fürchtete sie - ihres Lebens. Wen kümmerte es wirklich, was an einem so entfernten Ort geschah? Aber für Tim war es wichtig gewesen.
Was auch die Kraft dahinter gewesen war, in Sandy hatte sie eine Leere hinterlassen, und das hatte nicht mehr wirkliche Bedeutung als der grimmige Schmerz, den sie im Gesicht ihres Patienten sah. O'Toole hätte mehr über diesen Schmerz erfahren, wenn sie ihren Gedanken nur einen Schritt
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