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01 - Gnadenlos

01 - Gnadenlos

Titel: 01 - Gnadenlos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Clancy
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zurückzogen. Keiner von ihnen warf einen Blick auf das Flugzeug. Das würden sie schon früh genug wiedersehen.
    Daß ihr Auftrag zur Routine geworden war, war ein Widerspruch in sich. In nahezu allen früheren Kriegen hatte man die Amerikaner dort begraben, wo sie gefallen waren, wovon die Soldatenfriedhöfe in Frankreich und anderswo Zeugnis ablegten. Doch im Fall von Vietnam war das anders. Anscheinend hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß kein Amerikaner freiwillig dort bleiben wollte, lebendig oder tot. Und so wurde jeder aufgefundene Leichnam in die Heimat gebracht. Obwohl sie bereits vor den Toren von Saigon zur Bestattung hergerichtet worden waren, wurden einzelne Sarge hier noch einmal geöffnet, bevor sie ihre Reise in die im ganzen Land verteilten Orte antraten, die ihre Söhne zum Sterben in ein fremdes Land geschickt hatten. Die Familien hatten in der Zwischenzeit entscheiden können, wo die Beerdigung stattfinden sollte, und in den Frachtpapieren der Maschine waren für jeden namentlich identifizierten Gefallenen entsprechende Anweisungen aufgeführt.
    In der Lagerhalle wurden die sterblichen Überreste der Soldaten von zivilen Leichenbestattern erwartet. Sie übernahmen jene Aufgabe, die in den zahlreichen militärischen Ausbildungsgängen nicht vorgesehen war. Zwar wohnte unweigerlich ein Offizier in Uniform der offiziellen Identifikation bei - denn sicherzustellen, daß der richtige Leichnam an die richtige Familie überfuhrt wurde, war eine Aufgabe der Armee - doch in den meisten Fällen waren die Särge ohnehin versiegelt. Die körperlichen Verstümmelungen durch den Tod im Gefecht und die verheerenden Auswirkungen der tropischen Hitze, wenn der Gefallene wie so oft erst nach Tagen entdeckt wurde, waren Dinge, die die Angehörigen sicher nicht sehen wollten und ganz bestimmt nicht sollten. Aus diesem Grunde war eine eindeutige Identifikation der sterblichen Überreste oft von niemandem wirklich überprüfbar - und gerade deshalb führten die Militärs diese Aufgabe so sorgfältig durch, wie es eben ging.
    Es war eine große Halle, in der viele Leichen auf einmal abgefertigt werden konnten - wenn es hier auch nicht mehr so hektisch zuging wie in der Vergangenheit. Die Männer, die hier arbeiteten, schreckten vor brutalen Witzen nicht zurück, und einige verfolgten sogar den Wetterbericht für jenen fernen Teil der Erde und ergingen sich in Vorhersagen, in welchem Zustand die Ladung nächste Woche wohl bei ihnen eintreffen würde. Der Geruch allein reichte aus, um einen unbeteiligten Beobachter in die Flucht zu treiben, und einen ranghöheren Offizier bekam man hier nur selten zu Gesicht, von einem zivilen Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums ganz zu schweigen - wahrscheinlich würde der Anblick, dem er hier ausgesetzt wäre, sein seelisches Gleichgewicht doch zu sehr aus den Fugen bringen. Aber man gewöhnt sich mit der Zeit an jeden Gestank, und außerdem war der Geruch der Konservierungsmittel den anderen, die üblicherweise mit dem Tod einhergingen, immer noch bei weitem vorzuziehen. Ein Leichnam, der des Spezialist Fourth Class Duane Kendall, wies zahlreiche Wunden auf. Wie der Leichenbestatter sehen konnte, hatte er es noch bis zum Feldlazarett geschafft. Ein Teil der Schnitte war eindeutig auf die verzweifelten Bemühungen des Frontarztes zurückzuführen - doch diese Schnitte, die den Zorn eines jeden Chefarztes in einem Zivilkrankenhaus erregt hätten, waren weniger markant als die Wunden, die von den Splittern einer versteckten Sprengladung herrührten. Der Leichenbestatter vermutete, daß sich der Arzt mindestens zwanzig Minuten lang um ihn bemüht hatte, und er hätte gern gewußt warum ihm kein Erfolg beschieden war - vielleicht die Leber, vermutete er anhand der Größe und Anordnung der Schnitte. Ohne die hatte man keine Chance, ganz gleich, wie gut der Arzt auch war. Doch im Grunde interessierte ihn viel mehr der weiße Anhänger, der zwischen dem rechten Arm und die Brust des Leichnams geklemmt war, und das ergänzende, wie zufällig wirkende Zeichen auf der Karte an der Außenseite des Stahlsargs.
    »Identifizierung ist klar«, sagte der Leichenbestatter zu dem Captain, der in Begleitung eines Sergeant mit einer Liste die Runde machte. Der Officer verglich die Daten des Gefallenen mit denen auf seiner Liste und ging mit einem Nikken weiter. Sollte der Leichenbestatter seine Arbeit tun.
    Nun mußte er lediglich noch die erforderlichen Routinehandgriffe ausführen, und

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