01 - Gnadenlos
nachdem er sich vergewissert hatte, daß der Captain inzwischen am anderen Ende der Halle angelangt war, machte er sich ohne übertriebene Hast aber auch ohne zu zögern ans Werk. Er zog den Faden aus der Naht die von dem Leichenbestatter am anderen Ende des Kanals stammte. Praktisch auf der Stelle lösten sich die Stiche und gaben eine weite Öffnung frei, in die er nur noch hineinzugreifen brauchte, um vier durchsichtige Plastikbeutel mit weißem Pulver herauszuholen, die er schnell in seiner Tasche verschwinden ließ, bevor er das klaffende Loch in Duane Kendells Leichnam wieder schloß. Es war seine dritte und für diesen Tag letzte Bergung dieser Art. Nachdem er sich eine halbe Stunde lang mit einem anderen Gefallenen beschäftigt hatte, war sein Arbeitstag zu Ende. Der Leichenbestatter ging zu seinem Auto, einem Mercury Cougar, und verließ das Militärgelände. Bei einem Winn-Dixie-Supermarkt hielt er an, um Brot zu kaufen. Nebenbei warf er ein paar Münzen in einen öffentlichen Fernsprecher.
»Ja?« fragte Henry Tucker, der den Hörer nach dem ersten Klingeln aufgenommen hatte.
»Acht.« Am anderen Ende der Leitung klickte es.
»Gut«, sagte Tucker noch, während er den Hörer auflegte.
Acht Kilo diesmal. Sieben von dem anderen Mann. Keiner der beiden wußte, daß er nicht der einzige war, und die Übergabe fand an unterschiedlichen Wochentagen statt. Nun, da er seine Probleme mit der Verteilung allmählich in den Griff bekam, konnte es nur noch aufwärts gehen.
Die Rechnung war einfach. Jedes Kilo bestand aus eintausend Gramm. Und diese eintausend Gramm wurden mit ungiftigen Stoffen wie Milchpulver, das sich seine Freunde in einem Lebensmittelgroßhandel besorgten, gestreckt. Es wurde mit größter Sorgfalt gemischt, um sicherzustellen, daß die gesamte Lieferung von einheitlicher Qualität war. Dann erst wurde das Pulver von anderen in einzelne »Schüsse« aufgeteilt, die nur etappenweise auf den Markt kamen. Durch die Qualität und den wachsenden Ruhm seines Produkts erzielten sie einen etwas höheren als den durchschnittlichen Marktpreis, was sich natürlich auf den Großhandelspreis niederschlug, den er von seinen weißen Freunden kassierte.
Das Ausmaß des Ganzen würde demnächst zum Problem werden. Tucker hatte klein angefangen, denn er war vorsichtig, und ein zu großer Einstieg hätte die Gier der anderen geweckt. Doch so sollte es nicht ewig weitergehen. Seine Quelle für unverschnittenes Heroin war viel reichhaltiger, als seine Geschäftspartner ahnten. Fürs erste waren sie jedenfalls zufrieden mit der guten Qualität, und nur ganz allmählich wollte er sie einweihen, über welche Mengen er tatsächlich verfügen konnte - ohne allerdings auch nur ein Wort über den Lieferweg zu verlieren, zu dem er sich unentwegt selber gratulierte. Die Eleganz, mit der die Sache über die Bühne ging, verblüffte sogar ihn. Die besten Schätzungen von Seiten der Regierung - er sorgte dafür, daß er in diesen Dingen auf dem laufenden blieb - über die Heroinimporte aus Europa, aus jenen Quellen, die als »French« oder »Sicilian Connection« bezeichnet wurden, offenbar konnten die sich nie auf einen Begriff einigen, beliefen sich auf ungefähr eine Tonne unverschnittenen Stoffs pro Jahr. Das, so glaubte Tucker, würde zukünftig nicht ausreichen, denn den Drogen gehörte die Zukunft in der amerikanischen Unterwelt. Wenn er zwanzig Kilo pro Woche einführte - und seine Nachschubroute war noch für weit mehr gut -, würde er diese Menge überbieten, ohne sich Gedanken über die Zollinspektoren machen zu müssen. Tucker hatte beim Aufbau seiner Organisation vor allem auf Sicherheit Wert gelegt. Zunächst einmal ließen alle wirklich wichtigen Leute in seinem Team persönlich die Finger von Drogen. Wer dagegen verstieß, war ein toter Mann, und daß er es ernst damit meinte, hatte er ihnen auf die einfachste und verständlichste Weise klargemacht. Am anderen Ende des Versorgungskanals arbeiteten lediglich sechs Leute. Zwei besorgten den Stoff bei den örtlichen Produzenten, deren Sicherheit durch die übliche Methode garantiert wurde: größere Geldbeträge an die richtige Adresse, Die vier Leichenbestatter drüben wurden ebenfalls großzügig entlohnt und waren wegen ihrer Geschäftstüchtigkeit für diese Aufgabe ausgesucht worden. Den Transport, also den für gewöhnlich schwierigsten und gefährlichsten Teil des Imports, übernahm die U.S. Air Force, wodurch Kosten und Kopfschmerzen auf ein Minimum
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