01 - Gnadenlos
weitere Komplikation hinzufügte.
»Und dabei waren wir schon so nahe dran«, stöhnte Douglas. »Das Mädchen kannte Namen und Gesichter, sie war eine Augenzeugin.«
»Aber wir wußten erst, daß es sie gab, nachdem dieser Knallkopf sie verloren hatte«, wandte Ryan ein.
»Nun, er ist jetzt wieder da, wo er hingehört, und wir stehen wieder dort, wo wir vorher schon waren.« Douglas nahm die Akte und kehrte an seinen Schreibtisch zurück.
Es war schon dunkel, als Kelly die Springer vertäute. Bei einem Blick zum Himmel entdeckte er einen Hubschrauber, der wahrscheinlich in irgendeinem Auftrag vom nahegelegenen Fliegerhorst unterwegs war. Jedenfalls kreiste er nicht, und er blieb auch nicht über ihm stehen. Die Luft im Freien war schon feucht, schwer und schwül, doch im Inneren des Bunkers war es noch schlimmer. Es dauerte eine Stunde, bis er die Wirkung der Klimaanlage spürte. Zum zweitenmal in diesem Jahr litt er unter der Leere seiner »Wohnung«; denn ohne einen zweiten Menschen, der die Räume mit ihm ausfüllte, wirkte sie automatisch größer. Etwa eine Viertelstunde lang wanderte Kelly ziellos durch die Zimmer, bis er sich dabei ertappte, daß er Pams Kleider anstarrte. Erst da schaltete sich sein Verstand ein und hielt ihm vor, daß er auf jemand wartete, der nicht mehr da war. Er sammelte ihre Sachen zusammen und legte sie in einem säuberlichen Haufen auf Tishs einstigen und Pams, wie sie damals dachten, zukünftigen Schminktisch. Voller Trauer stellte er fest, wie wenige es waren. Ihre Shorts, das Top, ein paar andere intime Dinge, das Flanellhemd, das sie nachts getragen hatte, und oben drauf ihre abgetragenen Schuhe. Nicht gerade viele Andenken.
Kelly hockte sich auf den Rand seines Betts und blickte auf die Sachen. Wie lange hatte es überhaupt gedauert? Drei Wochen? Nicht mehr? Eigentlich ging es doch gar nicht um Kalendertage, denn gemeinsame Zeit ließ sich so nicht wirklich messen. Zeit war etwas, das die leeren Augenblicke im Leben ausfüllte, und diese drei Wochen mit Pam hatten länger gewährt und waren tiefer gegangen als alles andere seit Tishs Tod. Doch all das lag nun schon eine Weile zurück. Der Krankenhausaufenthalt kam ihm nicht viel länger vor als ein Wimpernschlag, aber er schien eine Mauer zwischen diesen kostbarsten Momenten seines Lebens und der Gegenwart errichtet zu haben. Zwar konnte er an die Mauer treten und über sie hinweg auf das schauen, was gewesen war, doch nie mehr konnte er es mit den Händen berühren. Das Leben war grausam, und die Erinnerung, die höhnischen Gedanken an das, was einmal gewesen war und sich daraus hätte entwickeln können, wenn er sich nur anders verhalten hätte, waren wie ein Fluch. Schlimmer noch, die Mauer zwischen seinem Leben heute und dem, was hätte sein können, war die Arbeit seiner eigenen Hände, so wie er gerade eben eigenhändig das Häufchen von Pams Hinterlassenschaften errichtet hatte, weil sie niemandem mehr von Nutzen waren. Wenn er die Augen schloß, sah er sie vor sich. In der Stille konnte er sie hören, doch ihr Geruch und ihre warme Berührung waren fort.
Kelly beugte sich vor und strich über das Flanellhemd. Er sah vor sich, was es einst umhüllt hatte, erinnerte sich, wie er mit ungelenken Fingern an den Knöpfen genestelt hatte, um seine Liebe zu finden. Und jetzt war es nur noch ein Stoffetzen. Zum erstenmal, seit er von Pams Tod erfahren hatte, begann er zu schluchzen. Sein Körper bebte unter dem Ansturm der Gefühle, und allein zwischen den Wänden aus Stahlbeton rief er ihren Namen, hoffte, daß sie ihn hören konnte und ihm verzieh, daß er sie in seiner Dummheit in den Tod geführt hatte. Vielleicht hatte sie jetzt endlich Ruhe gefunden. Kelly betete, Gott möge erkennen, daß sie nie wirklich eine Chance gehabt hatte, daß ihr Charakter gut war. Hoffentlich nahm er sie in Gnaden auf. Sein Blick kehrte zu dem Häufchen Kleider zurück.
Diese Hundesöhne hatten ihr nicht einmal die Würde gelassen, ihren Leichnam vor den Elementen und den neugierigen Blicken der Menschen zu verbergen. Jeder sollte wissen, daß man sie bestraft, sich an ihr vergnügt und dann weggeworfen hatte wie Abfall, in dem die Vögel herumpicken konnten. Pam Madden war für sie ein Objekt gewesen, das sie sich nicht nur im Leben zunutze gemacht hatten, sondern auch in ihrem Tod, als Beweis ihrer männlichen Großmacht. So wichtig sie für Kelly gewesen war, so wenig Bedeutung hatte sie für sie gehabt - genau wie die Familie des
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