01 - Gott schütze dieses Haus
dem köstlichen Krabbencocktail anbieten, ehe Sie Tommy ins Yard schleppen? Ich habe da Vorjahren einmal ein strohtrockenes Schinkenbrot serviert bekommen. Wenn das Essen sich inzwischen nicht gebessert hat, ist das hier vielleicht Ihre letzte Chance, etwas Anständiges zu sich zu nehmen.«
Barbara sah auf ihre Uhr. Lynley hoffte zweifellos, sie würde die Einladung annehmen, so daß ihm noch ein paar Minuten mit seinen Freunden vergönnt sein würden, ehe er dem Ruf der Pflicht folgte. Aber es fiel ihr nicht ein, ihm den Gefallen zu tun.
»Die Besprechung fängt leider schon in zwanzig Minuten an.«
Helen seufzte. »Ja, da bleibt Ihnen natürlich keine Zeit mehr für einen Imbiß. Soll ich auf dich warten, Tommy, oder soll ich Jeffrey anrufen?«
»Tu das lieber nicht«, antwortete Lynley. »Dein Vater würde dir nie verzeihen, daß du deine Zukunft in die Hände von Cambridge legst.«
Sie lachte wieder. »Na schön. Aber dann laß mich schnell noch das Brautpaar holen, ehe du gehst.«
Sein Gesicht veränderte sich schlagartig.
»Nein. Helen, ich - entschuldige mich einfach bei ihnen.«
Ein rascher Blick flog zwischen ihnen hin und her, Austausch unausgesprochener Gedanken.
»Du muß dich selbst von ihnen verabschieden, Tommy«, sagte Helen leise. Sie schwieg einen Moment, suchte offensichtlich nach einem Kompromiß. »Ich sage ihnen, daß du im Arbeitszimmer wartest.«
Sie ging rasch davon, ohne Lynley Gelegenheit zu einer Erwiderung zu lassen.
Er murmelte etwas Unverständliches, während sein Blick Helen folgte, die schon durch den Garten eilte.
»Sind Sie mit dem Wagen da?« fragte er Barbara plötzlich und drehte sich um, den Flur entlangzugehen, weg von der Feier.
Verblüfft folgte sie ihm.
»Ja, mit meinem Mini. Sie werden sich in Ihrem Cut etwas sonderbar darin ausnehmen.«
»Ich passe mich schon an, keine Sorge. Welche Farbe hat er?«
Sie war verwundert über die Frage, dachte sich, er bemühe sich wohl, recht und schlecht Konversation zu machen.
»Hauptsächlich Rost.«
»Meine Lieblingsfarbe.« Er hielt ihr eine Tür auf und ließ ihr den Vortritt in ein dunkles Zimmer.
»Ich erwarte Sie am besten im Auto, Sir. Es steht -«
»Bleiben Sie hier, Sergeant.« Es war ein Befehl.
Widerstrebend trat sie in das Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, Licht kam nur durch die von ihm geöffnete Tür. Dennoch konnte Barbara die dunkle Wandtäfelung erkennen, die mit Büchern gefüllten Regale, die bequemen, einladenden Sitzmöbel. Es roch nach altem Leder und einem Hauch Scotch.
Lynley wanderte zerstreut zu einer Wand voller gerahmter Fotografien und blieb dort schweigend stehen, den Blick auf ein Bild gerichtet, das im Mittelpunkt der Sammlung hing. Es war in einem Friedhof aufgenommen. Ein Mann stand vornübergebeugt vor einem Grabstein und berührte mit einer Hand die verwitterte Inschrift. Die geschickte Komposition der Aufnahme lenkte den Blick des Betrachters von der starren Beinschiene ab, die den Mann in seiner Haltung behinderte, und zog ihn statt dessen auf das von wachem Interesse bewegte schmale Gesicht. Lynley stand da und starrte auf das Bild und schien Barbaras Anwesenheit völlig vergessen zu haben.
»Sie haben mich zurückgeholt«, bemerkte Barbara, die fand, dieser Moment wäre zur Eröffnung der Neuigkeit so günstig wie jeder andere. »Deshalb bin ich hier, falls Sie das wundern sollte.«
Er drehte sich langsam nach ihr um.
»Wieder bei der Kripo?« fragte er. »Wie schön für Sie, Barbara.«
»Aber nicht für Sie.«
»Wie meinen Sie das?«
»Na ja, einer muß es Ihnen ja sagen, da Webberly es offensichtlich nicht getan hat. Herzlichen Glückwunsch: ab heute haben Sie mich auf der Pelle.« Sie wartete auf eine Äußerung der Überraschung. Als nichts kam, fügte sie hinzu: »Es ist natürlich eine Zumutung für Sie - glauben Sie nicht, daß ich das nicht weiß. Es ist mir schleierhaft, was Webberly bezweckt.«
Sie hörte kaum ihre eigenen Worte, während sie sprach, wußte nicht, ob sie die unvermeidliche Reaktion vorwegnehmen oder provozieren wollte: den explosionsartigen Ausbruch von Zorn und Ärger, den Griff zum Telefon, die Forderung nach einer Erklärung oder, schlimmer noch, die eisige Höflichkeit, die aufrechterhalten werden würde, bis er den Kommissar hinter verschlossener Tür hatte.
»Ich kann mir nur denken, daß niemand anderer verfügbar ist oder daß ich ein verborgenes Talent besitze, von dem nur Webberly weiß. Oder vielleicht ist es auch nur ein
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