01 - Gott schütze dieses Haus
waren starr, aber glasig auf das Gesicht ihrer Schwester gerichtet. Ihre Lippen zuckten. Die Finger einer Hand krümmten und streckten sich wie im Krampf.
»Er machte Musik. Ganz laut. Er zog mir die Kleider aus.« Die Stimme des Mädchens veränderte sich plötzlich. Sie wurde einschmeichelnd, klebrig süß, tief wie die eines Mannes. »›Süßes Kleines. Süßes Kleines. Marschier, süßes Kleines. Marschier für Papa.‹ Und dann hat er - er hatte ihn in der Hand ... ›Schau, was Papa tut, während du marschierst, süßes Kleines!‹«
»Ich hab' dir doch den Schlüssel dagelassen, Bobby«, sagte Gillian wie gebrochen. »Als er in der Nacht in meinem Bett eingeschlafen war, bin ich in sein Zimmer gegangen und hab' den Schlüssel geholt. Was ist mit dem Schlüssel geworden? Ich hab' ihn dir doch dagelassen.«
Roberta kämpfte mit Erinnerungen, die so lange unter dem Entsetzen ihrer Kindheit begraben gewesen waren.
»Ich hatte - ich verstand nicht. Ich sperrte die Tür ab. Aber du hast mir nie erklärt, warum. Du hast nie gesagt, daß ich den Schlüssel behalten soll.« »O Gott.« Gillian stieß einen qualvollen Seufzer aus. »Willst du sagen, daß du die Tür abends abgeschlossen hast, den Schlüssel aber am Tag steckengelassen hast? Bobby, willst du das sagen?«
Roberta legte den Arm über ihr feuchtes Gesicht. Er war wie ein Schild, und in seinem Schutz nickte sie. Ihr ganzer Körper spannte sich unter dem Druck eines zurückgehaltenen Aufschreis.
»Ich wußte es doch nicht.«
»Und da hat er ihn gefunden und an sich genommen.«
»Er legte ihn in seinen Schrank. Da waren alle Schlüssel. Er war abgeschlossen. Ich konnte nicht ran. ›Du brauchst keinen Schlüssel, süßes Kleines. Komm, süßes Kleines, marschier für Papa.‹«
»Wann mußtest du marschieren?«
»Bei Tag, bei Nacht. ›Komm her, süßes Kleines, Papa will dir beim Marschieren helfen.‹«
»Wie?«
Sie senkte den Arm. Ihr Gesicht verschloß sich abrupt. Sie zupfte mit den Fingern an ihrer Unterlippe.
»Bobby, sag es mir. Sag mir, wie«, fragte Gillian wieder. »Erzähl mir, was er getan hat.«
»Ich hab' Papa lieb. Ich hab' Papa lieb.«
»Sag das nicht.« Sie packte Roberta beim Arm. »Erzähl mir, was er mit dir gemacht hat.«
»Hab' Papa lieb. Hab' ihn lieb.«
»Du sollst das nicht sagen. Er war böse.«
Roberta schreckte vor dem Wort zurück.
»Nein! Ich war böse.«
»Wieso?«
»Ich war schuld, daß er so wurde - er konnte nichts dafür - er hat immerzu gebetet und konnte nicht anders ... du warst nicht da ... ›Gilly hat immer gewußt, was ich will. Gilly hat's verstanden. Du taugst nichts, süßes Kleines. Marschier für Papa. Los, marschier auf Papa.‹«
»Marschier auf Papa?« stieß Gillian hervor. Ihr Gesicht war aschfahl.
»Rauf und runter. Immer an einer Stelle. Rauf und runter. ›Das ist schön, süßes Kleines. Papa wird ganz groß zwischen deinen Beinen.‹«
»Bobby! Bobby!« Gillian wandte das Gesicht ab. »Wie alt warst du?«
»Acht. ›Hmmm, Papa hat das gern. Schön anfassen, überall anfassen und streicheln.‹«
»Hast du denn niemandem was gesagt? War denn keiner da?«
»Miß Fitzalan. Zu ihr hab' ich was gesagt. Aber sie hat nicht - sie konnte nicht ...«
»Sie hat nichts getan? Sie hat nicht geholfen?«
»Sie hat mich nicht verstanden. Ich sagte Schnauz ... sein Gesicht, wenn er sich an mir rubbelte. Sie verstand es nicht. ›Hast du's verraten, süßes Kleines? Wolltest du Papa verpetzen?‹«
»Mein Gott, sie hat mit ihm gesprochen?«
»›Gilly hat nie was verraten. Gilly hat Papa nie verraten. Du bist bös, süßes Kleines. Papa muß dich bestrafen.‹«
»Wie?«
Roberta gab keine Antwort. Sie begann wieder, sich zu wiegen, wollte an den Ort zurückkehren, den sie so lange bewohnt hatte.
»Du warst acht Jahre alt!« Gillian begann zu weinen. »Bobby, es tut mir so leid. Das wußte ich nicht. Ich dachte, dir würde er nichts tun. Du hast nicht ausgesehen wie ich. Du hattest keine Ähnlichkeit mit Mama.«
»Hat Bobby weh getan. Nicht wie Gilly. Nicht wie Gilly.«
»Nicht wie Gilly?«
›»Dreh dich um, süßes Kleines. Papa muß dich bestrafen.‹«
»O Gott, o Gott!« Gillian fiel auf die Knie und nahm ihre Schwester in die Arme. Sie schluchzte an ihrer Brust, aber Roberta reagierte nicht. Schlaff hingen ihre Arme an ihren Seiten herab, und ihr Körper verkrampfte sich, als sei die Nähe ihrer Schwester beängstigend oder ekelhaft. »Warum bist du nicht nach Harrogate
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