01 - Gott schütze dieses Haus
Lachen. Würden die Leute wirklich glauben, sie wäre seine Freundin? Apollo, der Medusa zum Essen ausführt.
Wie würde er die Blicke und das Getuschel verkraften?
Eine Stunde später klopfte er wieder bei ihr. Sie warf einen Blick in den Spiegel. Grauenhaft! Das Kleid war entsetzlich. Sie sah aus wie eine weiß verkleidete Tonne auf Beinen. Sie riß die Tür auf und funkelte ihn wütend an.
Er sah aus, als wäre er gerade einem Journal für Herrenmode entstiegen.
»Reisen Sie immer mit großer Garderobe?« fragte sie bissig.
»Wie die Pfadfinder! Allzeit bereit.« Er lächelte. »Gehen wir?«
Unten öffnete er ihr die Wagentür und half ihr höflich in den Bentley. Der geborene Kavalier, dachte sie sarkastisch. Mit automatischer Schaltung. Man stieg in den Smoking, und Scotland Yard war vergessen.
Als hätte er ihre Gedanken gelesen, wandte er sich ihr zu, ehe er den Motor anließ.
»Havers, ich würde den Fall heute abend gern mal ruhen lassen.«
Und worüber, zum Teufel, sollten sie reden, wenn der Fall tabu war?
»In Ordnung«, antwortete sie brüsk.
Er nickte und drehte den Zündschlüssel.
»Ich liebe diese Gegend von England«, sagte er, als sie die Keldale Abbey Road hinunterfuhren. »Sie haben sicher noch nicht gehört, daß ich ein unerschütterlicher Anhänger des Hauses York bin, hm?«
»Des Hauses York?«
»Die Rosenkriege. Wir sind hier mitten in dem Gebiet, wo sie sich abgespielt haben. Middleham ist nicht weit von hier.«
»Oh.« Na prächtig. Ein historischer Diskurs. Ihr gesamtes Wissen über die Rosenkriege beschränkte sich auf den Namen des Konflikts.
»Man ist natürlich geneigt, das Haus York zu verurteilen. Schließlich wurde Heinrich VI. ja von seinen Anhängern getötet.« Er trommelte mit den Fingern nachdenklich aufs Steuerrad. »Aber irgendwie kann ich nicht umhin, das auch gerecht zu finden. Ich meine, Pomfret und das alles. Richard III., der von seinem eigenen Vetter ermordet wurde. Der Mord an Heinrich scheint den Kreis der Verbrechen geschlossen zu haben.«
Sie knetete den weißen Wollstoff zwischen den Fingern und seufzte, geschlagen.
»Ehrlich, Sir, ich hab' für so was kein Talent. Ich - also, ich passe viel besser ins Dove and Whistle. Könnten Sie mich nicht bitte -«
»Barbara!«
Er steuerte den Wagen an den Straßenrand. Sie wußte, daß er sie ansah, doch sie starrte unbewegt in die Dunkelheit vor dem Wagen und zählte die Nachtfalter, die im Scheinwerferlicht tanzten.
»Könnten Sie nicht einen Abend lang die sein, die Sie wirklich sind? Wer auch immer Sie sein mögen.«
»Was soll das wieder heißen?« Gott, wie zänkisch sie klang.
»Das heißt, daß Sie die Maske fallenlassen können. Oder daß ich es mir wünsche.«
»Welche Maske?«
»Seien Sie einfach Sie selbst.«
»Wie können Sie es wagen -«
»Warum geben Sie vor, nicht zu rauchen?« unterbrach er sie.
»Warum spielen Sie den affigen Snob?« Sie war entsetzt über den schrillen Klang ihrer Stimme.
Einen Moment war es ganz still. Dann warf er den Kopf zurück und lachte.
»Eins zu null für Sie. Wollen wir für heute abend einen Waffenstillstand schließen und uns erst ab morgen früh wieder gegenseitig verachten?«
Erst war sie zornig, dann aber lächelte sie wider Willen. Sie wußte, daß sie manipuliert wurde, aber es erschien ihr nicht wichtig.
»Meinetwegen«, sagte sie widerstrebend. Doch ihr fiel auf, daß keiner die Frage des anderen beantwortet hatte.
In Keldale Hall wurden sie von einer Frau empfangen, deren Anblick sämtliche Ängste Barbaras in bezug auf ihre Garderobe augenblicklich beschwichtigte. Sie trug einen langen zipfeligen Rock undefinierbarer Farbe, eine mit blitzenden Sternen bestickte Folklorebluse und eine perlenbesetzte Stola, die sie sich wie eine Indianerdecke um die Schultern gelegt hatte. Das graue Haar war zu beiden Seiten ihres Kopfes von Gummibändern zusammengehalten, und um dem Ensemble den letzten Pfiff zu geben, hatte sie sich oben auch noch einen spanischen Kamm ins Haar gesteckt.
»Scotland Yard?« fragte sie und musterte Lynley mit kritischem Blick. »Mann, so waren die Burschen zu meiner Zeit nicht verpackt.« Sie lachte dröhnend. »Kommen Sie herein. Wir sind heute abend nur eine kleine Gesellschaft, aber Sie haben mich davor bewahrt, einen Mord zu begehen.«
»Wie darf ich das verstehen?« fragte Lynley, während er Barbara vor sich eintreten ließ.
»Ich hab' ein amerikanisches Ehepaar hier, dem ich liebend gern die Hälse umdrehen
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