01 - Gott schütze dieses Haus
würde. Aber lassen wir das. Sie werden es schnell genug verstehen. Wir sitzen hier drinnen.«
Sie führte sie durch die imposante Eingangshalle, in der es verlockend nach brutzelndem Fleisch duftete.
»Ich hab' kein Sterbenswörtchen darüber verlauten lassen, daß Sie von Scotland Yard sind«, erklärte sie in vertraulichem Ton, während sie ihre Perlenstola zurechtzog. »Wenn Sie die Watsons kennenlernen, werden Sie begreifen, warum.«
Weiter durch den Speisesaal, wo Kerzenlicht flackernde Schatten an die Wände warf. Eine lange Tafel war mit feinem Porzellan und blitzendem Silber gedeckt.
»Das andere Paar ist auf der Hochzeitsreise. Londoner. Sie gefallen mir. Schmusen nicht dauernd in aller Öffentlichkeit rum, wie Frischverheiratete das so häufig tun. Sehr ruhig. Sehr angenehm. Ich vermute, sie fallen nicht gern auf, weil der Mann ein verkrüppeltes Bein hat. Aber die junge Frau ist ein entzückendes Geschöpf.«
Barbara hörte, wie Lynley hinter ihr mit einem pfeifenden Geräusch den Atem anhielt. Er verlangsamte den Schritt und blieb stehen.
»Wie heißen sie?« fragte er heiser.
Alice Burton-Thomas blieb an der Tür zum Eichenzimmer stehen und drehte sich um. »Allcourt-St.-James.« Sie öffnete schwungvoll die Tür. »Hier sind unsere Gäste«, verkündete sie.
Die Szene, dachte Barbara, hat Filmqualität. Im gewaltigen offenen Kamin brannte ein knisterndes Feuer. Bequeme Sessel standen darum herum. Am anderen Ende des Raumes, halb im Schatten, stand Deborah St. James an einem Klavier und blätterte in einem Familienalbum. Sie sah lächelnd auf. Die Männer standen auf. Und das Bild erstarrte.
»Gott«, flüsterte Lynley - Gebet, Fluch, Resignation.
Barbara sah ihn an, und schlagartig kam ihr die Erkenntnis. Wie absurd, daß sie es nicht schon früher gesehen hatte. Lynley liebte die Frau des anderen.
»Hallo. Der Anzug ist echt Wahnsinn«, sagte Hank Watson und bot Lynley die Hand. Sie war schwammig und ein wenig feucht und erinnerte Lynley an warmen ungekochten Fisch. »Zahnarzt«, verkündete er. »Wir waren auf einer Tagung in London. Alles auf Kosten des Finanzamtes. Das ist meine Frau Jojo.«
Irgendwie brachte man die Begrüßung hinter sich.
»Bei mir gibt's vor dem Abendessen immer ein Glas Champagner«, erklärte Alice Burton-Thomas. »Und am liebsten auch vor dem Frühstück. - Danny, her mit dem Saft«, rief sie laut zur Tür hin, und wenige Augenblicke später erschien ein junges Mädchen mit Eiskübel, Champagner und Gläsern.
»Und was treiben Sie so, Mister Lynley?« erkundigte sich Hank, während die Gläser herumgereicht wurden. »Ich dachte erst, er wäre hier Universitätsprofessor. Ich war ganz baff, als ich hörte, daß er Leichen schnippelt.«
»Sergeant Havers und ich arbeiten bei Scotland Yard«, antwortete Lynley.
»He, Böhnchen, hast du das gehört?« Er musterte Lynley mit neuem Interesse. »Sind Sie wegen der Babyaffäre hier?«
»Babyaffäre?«
»Der Fall ist drei Jahre alt. Die Spur dürfte inzwischen ziemlich kalt sein.« Hank zwinkerte Danny zu, die gerade die Champagnerflasche in den Eiskübel senkte. »Das tote Baby in der Abtei. Sie wissen schon.«
Lynley wußte gar nichts und wollte auch nichts wissen. Er war unfähig, eine Antwort zu geben. Er merkte nur, daß er nicht wußte, wie er sich verhalten, wohin er blicken, was er sagen sollte. Er war sich einzig Deborahs Nähe bewußt.
»Wir sind wegen der Enthauptungsaffäre hier«, antwortete Barbara höflich.
»Enthauptung?« Hanks Stimme überschlug sich fast. »Na, das scheint hier ja eine lustige Gegend zu sein. Nicht, Böhnchen?«
»Das kann man wohl sagen«, bestätigte Jojo mit ernsthaftem Nicken. Sie spielte mit der langen Halskette, die sie trug, und warf hoffnungsvolle Blicke zu den schweigenden St. James hinüber.
Hank rückte seinen Sessel näher an Lynleys heran und beugte sich vor.
»Na, dann erzählen Sie mal, Sportsfreund.« Er schlug mit der Hand auf die Armlehne von Lynleys Sessel. »Wer ist der Mörder?«
Es war zuviel. Er konnte diesen widerlichen kleinen Mann mit dem sensationslüsternen Grinsen nicht ertragen. Und der Anzug! Safrangelb mit großblumigem Hemd, das fast bis zum Bauchnabel geöffnet war, und auf der behaarten Brust ein Medaillon, das an einer schweren Goldkette hing. An seinem Finger funkelte ein nußgroßer Brillant, und die weißen Zähne blitzten wie bei einem Raubtier.
»Das wissen wir noch nicht mit Sicherheit«, antwortete Lynley ernsthaft. »Aber die
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