01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
»Meine Neffen Wilfred und Geoffrey, Daisy. Miss Dalrymple wird für Town and Country einen Artikel über Wentwater Court schreiben.«
»Das ist ja großartig!« Wilfred, ungefähr ein Jahr älter als seine verführerische Schwester Marjorie, war ein richtiger junger Gesellschaftslöwe. Von seinen glatten, mit Pomade zurückgekämmten Haaren, die einen leichten Veilchenduft ausströmten, bis hin zu seinen Schuhen aus Lackleder war er tadellos gepflegt und eine durch und durch elegante Erscheinung. Daisy konnte sich gut vorstellen, wie er gelangweilt einen Croquetball durch ein Törchen schlug; Schlittschuhlaufen hingegen wäre ihm wohl zu anstrengend. Seine etwas geschwollenen Augenlider ließen vermuten, daß er seine Energie dafür aufsparte, um sich in Nachtclubs auszutoben. Sein Mund wirkte irgendwie schmollend.
Wilfreds jüngerer Bruder, ein großer, athletischer Jüngling, murmelte: »Nett, Sie kennenzulernen«. Er stand verlegen herum und wußte nicht so recht, was er mit seinen Händen anstellen sollte. Kaum hatte Wilfred wieder zu sprechen begonnen, steuerte er den Kaffeetisch an.
»Jede Wette, daß Sie lieber über das Anwesen der Flatfords schreiben würden, Miss Dalrymple«, warf Wilfred ihr hin. »Das wäre doch was gewesen! Haben Sie von dem Einbruch gehört?«
»Nur, daß er stattgefunden hat. Irgend etwas mit vielen Hausgästen und einem Ball?«
»Stimmt. Es scheint eine ganze Serie von Einbrüchen gegeben zu haben, aber das hier war ganz in unserer Nähe! Einige von uns waren sogar auf diesem Sylvesterball, wissen Sie, aber man hat darauf bestanden, daß wir früh gehen, und deswegen haben wir die ganze Aufregung verpaßt.«
»Seid froh, daß ihr überhaupt hindurftet«, sagte Lady Josephine. »Nur so eine halbseidene Clique wie die um Lord Flatford würde an einem Sonntag einen Ball geben, Sylvester hin oder her. Es hat mich überrascht, daß Henry euch da überhaupt hat hingehen lassen. Jedenfalls hat es gar keinen Unterschied gemacht, daß ihr um Mitternacht gegangen seid. Der Überfall ist ja erst am nächsten Morgen entdeckt worden.«
Er seufzte. »Du hast natürlich recht, Tante Jo. Bitte entschuldige mich einen Moment, ich hole mir einen Kaffee.« Er schwebte von dannen.
»Wilfred ist ein Nichtsnutz«, sagte seine Tante. »Geoffrey hingegen, aus dem kann noch was werden. Er studiert in Cambridge und ist da schon in der Boxmannschaft, obwohl er erst neunzehn ist.«
Der jüngste Beddowe hatte sich in einen Sessel neben dem Kaffeetisch gesetzt und verschlang schweigend ein riesiges Stück Kuchen. Der letzte Krümel verschwand, während Daisy ihm noch zusah. Dann merkte sie, daß sie die Mandeln von ihrem Scheibchen heruntergepult und zuerst gegessen hatte, eine schlechte Angewohnheit aus ihren Kindertagen.
»Noch ein Stück Kuchen, Geoffrey?« fragte Lady Wentwater mit einem Lächeln.
»Ja, bitte.«
»Unser Faß ohne Boden«, sagte Wifred grinsend. Geoffrey futterte ungerührt weiter.
Als Daisy ihren Kaffee ausgetrunken hatte und hinüberging, um eine zweite Tasse zu erbitten, nahm Geoffrey gerade das dritte Stück Kuchen in Angriff. Mehr als ein neuerliches »Ja, bitte« hatte er in der Zwischenzeit nicht von sich gegeben. Daisy führte seine Schweigsamkeit auf Schüchternheit zurück.
Auch Lady Wentwater war sehr still. Ein wenig bemüht erzählte Wilfred von der Music-Box-Revue - er hatte wohl Sorge, die Konversation könnte ins Stocken geraten. Daisy, die das Stück auch gesehen hatte, warf gelegentlich eine Bemerkung ein, und Lady Josephine fragte nach dem Bühnenbild.
»Wenn das Bühnenbild gut gemacht ist«, sagte sie, »dann kann man sich während der langweilen Passagen damit amüsieren, es zu bewundern. Magst du auch Revues, Annabel, oder ziehst du wie ich Musical-Komödien vor?« fragte sie freundlich, um ihre junge Schwägerin in die Unterhaltung einzubeziehen.
»Ich war noch nie in einer Revue und hab bisher nur eine Musical-Comedy gesehen, aber die wenigen Male, die ich im Theater war, fand ich es sehr schön.«
»Ach ja, du hattest ja nur selten Gelegenheit, ins Theater zu gehen«, sagte Lady Josephine und wandte sich wieder Wilfred zu. Der kritische Unterton in ihrer Stimme überraschte Daisy.
Die Gräfin sah entmutigt aus, und Daisy versuchte, sie aufzuheitern. »Wollen wir uns zusammen eine Matinee-Vorstellung ansehen, wenn Sie nächstes Mal in die Stadt kommen, Lady Wentwater?« schlug sie vor.
»Oh, danke Ihnen ... das würde ich sehr gerne ... aber ich bin
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