01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
der Stunde, und die Artikel brachten lauter überschwengliche Zitate von Damen, deren Diamanten, Perlen und Smaragde demnächst an sie zurückgegeben würden.
Daisy fragte sich, ob er es wohl genoß, eine Berühmtheit zu sein. Sie dachte, er würde das Ganze eher mit seiner üblichen Ironie nehmen.
Mit einem Seufzen ging sie in ihre Dunkelkammer, um ihre Photographien zu sortieren.
Um drei Uhr nachmittags hatte sie einige weitere Photographien gemacht und die letzten Lücken in ihren Kenntnissen über das Haus gestopft, und so war sie zur Abreise bereit. Lucy hatte sie ein Telegramm geschickt, um sich zum Abendessen anzukündigen. Glänzend stand der dunkelgrüne Rolls vor der Haustür, und ihre Koffer waren bereits darin verstaut. Sie verabschiedete sich von der Familie in der Halle. Alle bedrängten sie, bald wieder einmal zu Besuch zu kommen, und Daisy stellte mit Erstaunen fest, daß sie noch nicht einmal eine Woche auf Wentwater Court verbracht hatte.
Alle kamen noch hinaus auf die Stufen des Hauses, um ihr zum Abschied zu winken. Jones half ihr, sich auf den Rücksitz zu setzen und nahm am Steuer Platz; dann rollte der Silver Ghost surrend von dannen.
Als Daisy sich umwandte, um einen letzten Blick auf das Haus zu werfen, während sie den Abhang hinunterfuhren, waren die Mentons, Marjorie und Wilfred schon wieder hineingegangen. Nur Annabel und der Graf standen noch auf der Treppe und hielten sich in einer liebevollen Umarmung umfangen.
Ein Stich von Neid ging Daisy durch das Herz. Mit einem sehnsüchtigen kleinen Schniefen lehnte sie sich wieder im Sitz zurück.
Die feuchte Landschaft war bräunlich-grau und deprimierend.
Als sie am Bahnhof ankamen, trugen Jones und der hinkende Träger ihre Koffer zum Bahnsteig, von dem die Züge in Richtung London fuhren. Der Rolls fuhr wieder ab, und sie wartete neben ihrem Gepäck und blickte die Gleise entlang in Richtung Winchester, wobei sie sich fest in ihrem Mantel hüllte. Obwohl der Wind nachgelassen hatte und es viel wärmer war als am bitterkalten Tag ihrer Ankunft, fror sie.
Sie hörte, wie ein weiteres Auto auf den Platz vor dem Bahnhof fuhr, doch wandte sie sich nicht um, bis eine Stimme hinter ihr rief: »Miss Dalrymple!«
Alec! Er hatte einen orange und grün gestreiften Schal um, und lehnte an dem Zaun, auf dem neulich die Krähe gesessen hatte. Ein Rauchwölkchen stieg aus seiner Pfeife empor und verbarg seinen Gesichtsausdruck.
Sie ging zu ihm hinüber, die Schritte voller Schwung. »Ich dachte, Sie wären schon längst nach London abgereist«, sagte sie.
»Mußte noch den einen oder anderen Faden vernähen.«
»Ich wußte gar nicht, daß Sie Pfeife rauchen.«
»Nicht, wenn ich im Dienst bin, es sei denn, ich bin in meinem eigenen Büro.«
»Ich vermute, diesen schmucken Schal tragen Sie auch nicht, wenn Sie im Dienst sind.«
Er lächelte, die Pfeife immer noch im Mund. »Gefällt er Ihnen? Meine Tochter Belinda hat ihn für mich gestrickt.«
»Ihre Tochter?« Ihr sank das Herz. »Tüchtiges Mädchen. Wie alt ist sie denn?«
»Neun. Nicht schlecht, was? Hören Sie mal, würden Sie Ihr Leben wohl meinen Fahrkünsten anvertrauen? Ich kenne ein nettes kleines Lokal in Guildford, wo wir eine Teepause machen könnten. Ich hab meine Mutter angerufen, und die erwartet mich erst nach sechs Uhr zu Hause.«
»Ihre Mutter?«
»Sie wohnt mit Belinda und mir und versorgt uns. Da kommt der Zug«, sagte er, als ein Pfeifen näherkam. »Kann ich Sie mitnehmen?«
»Mitnehmen? Tee in Guildford? Jawohl, Chief.«
»Oh, nein, nicht Chief.« Er schüttelte entschlossen den Kopf.
»Nie wieder. Wenn unsere Bekanntschaft weitergehen soll, dann nur auf privater Ebene.«
»In Ordnung, Alec«, sagte Daisy.
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