01 - Miss Daisy und der Tote auf dem Eis
erwischt wurde. Der wurde nicht noch einmal eingeladen.«
Sie plapperte weiter. Während Daisy sich ihre Notizen machte, beschloß sie, die Bewohner von Wentwater Court genauestens zu beobachten. Für eine angehende Schriftstellerin waren die Verwicklungen der Vergangenheit nicht halb so interessant wie die der Gegenwart.
Etwas später, als sie aus einem anderen Turmfenster schaute, sah Daisy die Schlittschuhläufer den Hügel zum Haus hochkommen. Lady Josephine blickte ebenfalls hinaus und sah dann auf ihre Armbanduhr. »Du lieber Himmel, wie die Zeit doch vergeht. Wir müssen hinuntergehen, wenn Sie noch vor dem Mittagessen den Ballsaal sehen möchten.«
»Ja, bitte. Ach, das ist ja merkwürdig. Lord Stephen will doch nicht etwa wegfahren, so kurz vor Mittag?« Ein grauer Lanchester hatte auf seinem Weg die Auffahrt hinunter angehalten. Daisy beobachtete, wie Astwick zu ihm hinüberging und mit dem Fahrer sprach.
»Ich vermute, er schickt seinen Diener mal wieder auf irgendeinen Botengang«, sagte Lady Josephine irritiert. »Mein Dienstmädchen hat erzählt, der Kerl wäre öfter weg als hier. Von mir aus kann er seinen Herrn gleich mitnehmen!«
Sie ließ das unangenehme Thema fallen und führte Daisy hinab in den Ballsaal, wobei sie von den prachtvollen Bällen in ihrer Jugendzeit schwärmte. Der riesige Saal war mit Tüchern verhangen und wirkte wie tot. Daisy beschloß, nicht darum zu bitten, daß er für eine Photographie exhumiert würde. Es gab im älteren Teil des Hauses schließlich genügend interessante Motive.
Lady Josephine seufzte. »Aber ihr jungen Dinger zieht ja dieser Tage Nachtclubs vor. So, meine Liebe, jetzt hab ich Ihnen das Schönste von Wentwater präsentiert. Natürlich können Sie hier jederzeit noch alleine herumwandern, und ich werde natürlich versuchen, alle Fragen zu beantworten, die Sie vielleicht noch haben.«
»Das ist wirklich ganz reizend von Ihnen, Lady Josephine.«
Daisy blätterte noch einmal ihr Notizbuch durch, während sie die Treppe hinuntergingen. »Ich habe schon jede Menge Material, mit dem ich anfangen kann, und ein paar großartige Ideen, was ich alles photographieren möchte. Ich würde gerne eine Aufnahme von der Familie machen, vor dem Kamin in der Halle. Meinen Sie, Lord Wentwater wäre einverstanden?«
»Ich werde mal mit ihm sprechen«, versprach Lady Josephine.
Im Salon, einem langen, wunderbar proportionierten Raum, der im Stil der Regency-Zeit möbliert war, waren schon mehrere Gäste und Familienmitglieder versammelt. James, Fenella an seiner Seite, goß gerade die Drinks ein. Er mixte einen Gin-and-It für seine Tante, und Daisy bat um einen kleinen halbtrockenen Sherry.
»Vor dem Mittagessen darf ich unmöglich einen Cocktail trinken, dann könnte ich mein nachmittägliches Arbeitspensum vergessenen«, sagte sie.
»Wie soll man auch eine Kamera richtig einstellen, wenn man nicht gerade aus den Augen gucken kann«, fügte James mit einem Grinsen hinzu.
»Und es ist auch schon mit klarem Kopf schwer genug, meine Kurzschrift zu lesen. Danke sehr.« Daisy nahm ihr Glas entgegen und blickte sich im Zimmer um.
Etwas weiter weg stand Wilfred und erzählte seiner Stiefmutter in seinem gedehnten Tonfall, den heutzutage alle schicken jungen Leute hatten, die Handlung von Al Jolsons Bombo, einer Musical Comedy, sofern man bei diesem Stück überhaupt von einer Handlung sprechen konnte. Daisy beobachtete, wie er sich einen riesigen Schluck aus seinem fast vollen Cocktailglas gönnte. Sie bezweifelte, daß dies sein erster Drink war. Annabels Sherryglas war ebenfalls fast voll. Sie schien es vergessen zu haben und stand mit geneigtem Kopf da. Entweder hörte sie Wilfred mit größerem Interesse zu, als es das Thema eigentlich verdiente, oder sie war in ihren eigenen Gedanken versunken.
Am Kamin unterhielten sich Sir Hugh und Phillip - über Politik, nahm Daisy an, denn sie hatte gehört, wie Bonar Law und Lloyd George erwähnt wurden. Marjorie stand dicht bei ihnen und rauchte gelangweilt eine Zigarette, die in einer langen Schildpattspitze steckte. In ihrem Cocktailglas schwammen die Reste eines Pink Gin. Daisy hätte wetten können, daß Phillips Glas einen trockenen Sherry beinhaltete. Sie wußte, daß er Cream Sherry vorzog, doch hielt er dies für unmännlich und bat in Gesellschaft immer um einen trockenen. Als er einen Schluck nahm, krauste er ein ganz kleines bißchen die Nase und bestätigte damit ihren Verdacht.
Lady Josephine ging hinüber zu
Weitere Kostenlose Bücher