01 - Nacht der Verzückung
rieb ihr die Hände, während Elizabeth ein Kissen
hinter ihren Kopf platzierte.
»Ich
hatte keinen Beweis«, sagte Seine Gnaden, »bis eben. Ich wusste, dass es dich
geben musste, obwohl ich auch dafür wenig Beweise hatte. Aber ich konnte dich
nicht finden. Ich habe niemals ganz aufgegeben, nach dir zu suchen. Ich habe es
nie wirklich geschafft, mein Leben zu leben. Und dann tratest du in jene
Kirche.«
Lily
drehte den Kopf auf dem Kissen von einer Seite auf die andere. Sie versuchte,
nicht zuzuhören.
»Lyndon«,
sagte Elizabeth ruhig, ȟberfordere sie nicht. Ich bin selbst einer Ohnmacht
nahe. Stell dir vor, wie Lily sich fühlen muss.«
Da
blickte er zu Elizabeth auf und sah sich in dem Zimmer um.
»Ja«,
sagte sie, »die anderen Gentlemen haben sich taktvoll zurückgezogen. Lily, mein
Liebes, hab keine Angst. Niemand wird dir etwas - oder jemanden -
wegnehmen.«
»Mama
und Papa waren meine Mutter und mein Vater«, flüsterte Lily.
Elizabeth
küsste sie auf die Stirn.
»Was
geht hier vor?«, fragte eine Stimme barsch von der Türschwelle. »Als ich hereinkam,
riet mir Joseph, besser sofort nach Lily zu sehen. Lily?«
Sie
stieß einen kurzen Schrei aus und rappelte sich hoch. Noch bevor sie sich einen
Schritt vom Sofa entfernen konnte, lag sie in seinen Armen - sicher und
geborgen, das Gesicht an seinem Halstuch.
»Ich
bin es, der sie aufgeregt hat, Kilbourne«, sagte der Herzog von Portfrey. »Ich
habe ihr soeben erklärt, dass sie meine Tochter ist.«
Lily
verkroch sich tiefer in Wärme und Sicherheit.
»Ja«,
sagte Neville ruhig. »Ja, das ist sie.«
***
»Der Brief war an
Lady Frances Lilian Montague adressiert«, sagte Neville. »Aber jemand hatte mit
einer anderen Handschrift >Lily Doyle< darunter geschrieben - so
hat es mir der Vikar versichert.«
Er saß
neben Lily auf dem Sofa, hielt ihre Hand und ihre Schulter lehnte an seinem
Arm. Sie starrte auf ihre andere Hand, die in ihrem Schoß ruhte. Sie ließ nicht
erkennen, dass das Gespräch sie interessierte. Der Herzog von Portfrey war
durch das Zimmer gegangen und mit einem Glas Brandy zurückgekehrt, das er ihr
schweigend gereicht hatte. Sie hatte den Kopf geschüttelt. Er hatte es
abgesetzt und sich einen Stuhl herangezogen, um ihr gegenübersitzen zu können.
Er betrachtete sie, verschlang sie mit den Augen. Elizabeth lief auf und ab.
»Wenn
wir nur wüssten, was in dem Brief stand«, sagte Seine Gnaden wehmütig.
»Wir
wissen es.« Neville zog für einen Augenblick die Aufmerksamkeit des Herzogs von
Lily ab. »Der Brief war an Lily Doyle adressiert. William Doyle war ihr
nächster Verwandter, obwohl er nichts von ihrer Existenz wusste. Der Vikar
öffnete den Brief und las ihn vor.«
»Und
der Vikar kann sich an den Inhalt erinnern?«, fragte Seine Gnaden aufgeregt.
»Noch
besser«, sagte Neville. »Er hat von dem Brief eine Kopie angefertigt. Nachdem
er ihn vorgelesen hatte, riet er William Doyle, den Brief nach Nuttall Grange
zu Baron Onslow, Lilys Großvater, zu bringen. Er glaubte, dass auch William
Doyle ein Anrecht auf eine Kopie hatte. Er schien zu ahnen, dass die Doyles den
Wunsch verspüren könnten, für die Jahre der Pflege, die Thomas Doyle Lily hatte
zukommen lassen, eine Art Wiedergutmachung zu beanspruchen.«
Lily
plissierte mit den Fingern die teure Spitze ihres Oberkleides. Sie war wie ein
Kind, das ruhig und teilnahmslos dasaß, während die Erwachsenen sich
unterhielten.
»Ihr
habt diese Kopie?«, fragte der Herzog und seine Stimme klang gepresst.
Neville
zog sie aus einer Tasche und übergab sie wortlos. Seine Gnaden las schweigend.
»Lady
Lyndon Montague hatte ihrem Vater gesagt, sie würde einige Monate bei einer
kranken Schulfreundin verbringen«, sagte Neville nach einer Weile. »In
Wirklichkeit ging sie zu ihrer früheren Zofe und deren frisch vermähltem
Ehemann - Beatrice und Thomas Doyle -, um ein Kind zur Welt zu
bringen.«
Lily
glättete die Falten, die sie geknickt hatte, und fing dann von vorn an, die
Spitze erneut zu falten.
»Ihre
Heirat mit Lord Lyndon Montague war eine heimliche gewesen«, sagte Neville,
»und beide hatten gelobt, es nicht bekannt werden zu lassen, bevor er nicht aus
den Niederlanden zurückgekehrt war. Aber er wurde mit seinem Regiment in die
Karibik geschickt und sie stellte fest, dass sie ein Kind von ihm trug. Sie
fürchtete sich vor dem Zorn ihres Vaters genauso wie vor seinem. Schlimmer
noch, sie fürchtete sich vor ihrem Cousin, der sie bedrängte, ihn zu
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