01 - Nacht der Verzückung
der Cousinen und Cousins ins Musikzimmer gegangen waren, saß sie
eine Weile bei Lauren und hielt, in ein ernstes Gespräch vertieft, ihre Hand.
Und dann beugte sich Gwen über sie, sagte etwas und sie lächelten sich an,
bevor sie Arm in Arm ins Musikzimmer gingen.
Für
Lauren musste es ein schwieriger Abend sein, dachte Neville traurig. Zwischen
ihnen hatte seit seiner Rückkehr aus London eine gewisse Unbeholfenheit
geherrscht - sie war doch nicht in Yorkshire geblieben - denn
obwohl niemand sie direkt angesprochen hatte, wussten beide, dass in der
Nachbarschaft Spekulationen über seine Zukunftspläne kursierten. Hatte er vor,
um Lady Lilian Montague anzuhalten, oder würde er seine Heiratspläne mit Lauren
erneuern?
Er und
Lauren kannten die Antwort. Aber es war zwischen ihnen niemals ausgesprochen
worden. Wie auch? Wie sollte er ihr sagen, dass er nicht die Absicht hatte, ihr
erneut den Hof zu machen, ohne damit anzudeuten, dass sie genau das erwartete?
Und wie sollte sie ihm sagen, dass sie begriffen hatte, dass es zwischen ihnen
nicht mehr als ein freundschaftliches Verhältnis geben konnte, ohne damit zu
verstehen zu geben, dass sie noch immer hoffte, er möge sie heiratete?
Aber
wie immer verhielt sie sich äußerlich ausgeglichen und würdevoll. Man konnte
nur ahnen, was in ihrem Kopf vor sich ging.
Er
hatte Lily lange Jahre geliebt. Im letzten Frühjahr hatte er nicht für möglich
gehalten, dass er sie noch mehr lieben könnte. Aber das tat er. Er hatte
versucht, sein altes Leben zu führen, ohne dauernd sehnsüchtig an sie zu
denken. Er hatte versucht, sich nicht zu sicher zu sein, dass sie von sich aus
zu ihm zurückkommen würde.
Aber
ein Blick auf sie hatte alle guten Vorsätze aus seinen Gedanken verbannt. Ohne
Lily konnte ihm das Leben nur wenig bedeuten. Sie war Sonnenschein und Wärme
und Lachen. Sie war ... nun, sie war seine Liebe.
Er
hielt sich von ihr fern. Er wollte sie nicht bedrängen, obwohl dieser Besuch
unausweichlich auf eine Aussprache herauslaufen würde. Sie war mit ihrem Vater
gekommen, um an einer Geburtstagsfeier teilzunehmen. Er würde ihr also gestatten,
sie zu genießen - morgen. Aber übermorgen ...
All
seine Träume richteten sich auf das, was mit Sicherheit übermorgen geschehen
würde. Er weigerte sich, zu zweifeln, zu fürchten.
***
Lauren und
Gwendoline gingen nicht sofort zu Bett, als sie zum Witwenhaus zurückkehrten,
obwohl es schon spät war. Sie saßen zusammen im Wohnzimmer, wo ein Feuer
brannte. Der Raum war kleiner und behaglicher als der Salon. Sie blickten beide
eine Weile schweigend in die Tiefen der knisternden Flammen.
»Weißt
du, was sie mir gesagt hat?«, sprach Lauren schließlich.
»Was?«,
fragte Gwendoline. Es bestand keine Notwendigkeit klarzustellen, von wem die
Rede war.
»Sie
sagte mir, dass sie weiß, dass ich mich von ihrer Anwesenheit gekränkt fühle«,
sagte Lauren. »Sie sagte mir, dass sie sich im letzten Frühjahr auch durch mich
gekränkt gefühlt habe, weil ich so perfekt war, der Inbegriff einer Dame, so
viel besser geeignet, Nevilles Gräfin zu sein, als sie es war. Sie sagte mir,
dass sie meine Zurückhaltung bewundert, meine Würde, meine tadellose Güte ihr
gegenüber, obwohl meine wahren Gefühle sicher anders geartet seien. Sie bat
mich, ihr zu vergeben, dass sie je an meiner Aufrichtigkeit gezweifelt hat.«
»Sie
hat Recht, offen anzusprechen, was zwischen euch steht«, sagte Gwendoline. »Sie
äußert sich freimütig, nicht wahr?«
»Sie
ist ...« Lauren schloss die Augen. »Sie ist die Frau, die Neville will. Hast du
bemerkt, wie er sie den ganzen Abend angesehen hat? Hast du seine Augen gesehen?«
»Sie
sagte mir«, sprach Gwendoline leise, »dass sie weiß, dass sie mich verletzt
hat, als sie ungebeten in meine Familie trat und ich Vernons Tod noch nicht
verarbeitet oder mich den Umwälzungen meines Lebens gestellt hatte. Sie bat
mich, ihr zu vergeben. Sie war nicht unterwürfig, Lauren, Sie meinte es
aufrichtig. Ich wünsche mir immer noch, dass es möglich wäre, sie zu hassen,
aber das geht nicht, nicht wahr? Sie ist so liebenswert.«
Lauren
lächelte ins Feuer.
»Ich
wollte damit nicht sagen ...«
»Dass
du mich deshalb weniger magst?«, sagte Lauren und sah sie an. »Nein, natürlich
nicht, Gwen. Warum sollte ich das denken? Sie ist nicht meine Rivalin. Neville
und ich hätten geheiratet, wenn sie nicht gekommen wäre, aber es ist gut, dass
sie da ist. Unsere Ehe wäre keine Liebesheitat
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