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01 - Nacht der Verzückung

01 - Nacht der Verzückung

Titel: 01 - Nacht der Verzückung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Balogh
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hat, was sie
schon wusste dass ihr Vater tot war. Natürlich ist sie mit dem Tod vertraut.
Aber niemals ist man auf den Tod eines geliebten Menschen vorbereitet.
    »Lily«,
sagt Neville mit derselben zärtlichen Stimme wie zuvor, »ich möchte, dass du
weißt, dass die letzten Gedanken deines Vaters dir und deiner Sicherheit und
deiner Zukunft gegolten haben.«
    Sie
antwortet nicht.
    »Ich
gab ihm ein Versprechen«, sagt er. »Das Versprechen eines Gentlemans. Weil er
mein Freund war, Lily, und weil ich es sowieso tun wollte. Ich versprach ihm,
dich noch heute zu heiraten, um dir für den Rest dieser Reise und für den Rest
deines Lebens den Schutz meines Namens und Ranges zukommen zu lassen.«
    Immer
noch keine Reaktion. Hatte er wahrhaftig ein solches Versprechen gegeben? Das
Versprechen eines Gentlemans? Weil es das ist, was er will? Ist es
vielleicht so, dass er gezwungen sein wollte, etwas Unmögliches zu tun, um es
dadurch möglich werden zu lassen? Es ist unmöglich für ihn, einen Offizier,
einen Aristokraten, einen zukünftigen Grafen, die ärmliche Tochter eines
einfachen Soldaten zu heiraten, die weder lesen noch schreiben kann. Doch das
ist jetzt zu einer Verpflichtung geworden, zu der Verpflichtung eines Gentlemans. Er verspürt ein seltsames Frohlocken.
    »Lily«,
fragt er sie und beugt sich zu ihr, um in ihr bleiches, ausdrucksloses Gesicht
zu blicken, das ihrem üblichen Wesen so ganz und gar nicht entspricht,
»verstehst du, was ich dir sage?«
    »Jawohl,
Sir.« Ihre Stimme ist matt, tonlos.
    »Du
wirst mich also heiraten? Du wirst meine Frau werden?« Der Augenblick erscheint
ihm irreal, genau wie alle Ereignisse der letzten zwei Stunden. Aber da ist ein
Gefühl atemloser Panik. Weil sie ablehnen könnte? Weil sie zustimmen könnte?
    »Ja«,
sagt sie.
    »Dann
werden wir es angehen, sobald wir das Lager aufgeschlagen haben«, sagt er.
    Es
passt nicht zu Lily, so passiv, so demütig zu sein. Ist es ihr gegenüber fair?
    Doch
was wäre die Alternative? Eine Rückkehr nach England zu ihren Verwandten, von
denen er wusste, dass sie sie noch nie gesehen hatte? Heirat mit einem
einfachen Soldaten aus ihrer sozialen Schicht? Nein - ein unerträglicher
Gedanke. Aber es ist Lilys Leben.
    »Sieh
mich an, Lily«, befiehlt er, nicht länger sanft, sondern in einem Tonfall, dem
sie, genau wie alle Männer, die unter seinem Befehl stehen, instinktiv gehorcht.
Sie sieht ihn an. »Du wirst innerhalb einer Stunde meine Frau werden. Willst du
das?«
    »Jawohl,
Sir.«
    So wird
es also geschehen. Innerhalb einer Stunde. Die große Unmöglichkeit. Die
Verpflichtung.
    Wieder
die Panik.
    Wieder
das Frohlocken.
    ***
    Die Hochzeitszeremonie
wird vor der ganzen Kompanie abgehalten, mit Lieutenant Harris und dem neu
ernannten Sergeant Rieder als offiziellen Trauzeugen. Die versammelte
Mannschaft scheint unsicher zu sein, ob sie jubeln oder den zurückhaltenden
feierlichen Ernst beibehalten soll, den sie von Sergeant Doyles Begräbnis vor
drei Stunden mit sich getragen hat. Angeführt vom Lieutenant applaudieren die
Männer höflich und lassen ihren frisch vermählten Major und die neue
Viscountess Newbury dreimal hochleben.
    An der
neuen Viscountess selbst scheinen die Ereignisse völlig vorbeizugehen. Sie
zieht sich still zurück, um Mrs. Geary bei der Vorbereitung des Abendessens zu
helfen. Neville hält sie nicht davon ab, verweist nicht auf die Tatsache, dass
eine Viscountess darauf warten muss, bedient zu werden. Er hat sich um seine
eigenen Pflichten zu kümmern.
    ***
    Es ist dunkel.
Neville hat die Posten und den Plan für die Nachtwache überprüft.
    Er hat
sich entschlossen, in der Armee zu bleiben. Hier wird er seine Laufbahn
fortsetzen. In der Armee können er und Lily gleichgestellt sein. Sie können
eine Welt teilen, die sie beide kennen und in der sie sich wohl fühlen. Er wird
nicht länger hin- und hergerissen sein, ein Gefühl, das ihm zusetzt, seit
er Newbury verlassen hat. Seine Familie würde ihn dort jetzt sowieso nicht mehr
wollen. Nicht mit Lily. Sie ist so schön. Sie ist der Inbegriff von Anmut und
Licht und Freude. Er ist in sie verliebt. Mehr noch, er liebt sie. Aber sie
wird niemals Gräfin von Kilbourne sein können, außer vielleicht dem Namen nach.
Aschenputtel gibt es nur im Märchen, wo sie glücklich bis an ihr Lebensende mit
ihrem Prinzen lebt. Im wahren Leben laufen die Dinge anders.
    Er ist
froh, dass er Lily geheiratet hat. Er fühlt sich, als sei ihm eine schwere Last
von der Seele

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