01 - Nacht der Verzückung
hinter ihren Linien in Spanien oder
innerhalb der Grenzfestung Ciudad Rodrigo bleiben, die die britischen
Streitkräfte belagern werden, sobald der Frühling angebrochen ist.
Er
blinzelt zu den gegenüberliegenden Hügeln und hinunter ins Tal. Alles ist
ruhig. Er hatte es auch nicht anders erwartet. Hätte irgendeine echte Gefahr
bestanden, hätte er niemals erlaubt, dass Corporal Geary seine Frau und
Sergeant Doyle seine Tochter mitgenommen haben. Es ist ein Routineauftrag und
er war unerwartet angenehm normalerweise regnet es um die Jahreszeit. Morgen
werden sie zum Stützpunkt zurückkehren. Heute Nacht jedoch werden sie an dieser
Stelle lagern.
Er kann
nicht länger widerstehen. Er schlendert zu dem Felsvorsprung, auf dem Lily
sitzt, bleibt neben ihr stehen und zeigt sich von seiner besten Seite, indem er
mit der Hand die Augen beschirmt und den Blick nochmals über das Tal schweifen
lässt. Sie sieht auf und lächelt. Er weiß nicht genau, seit wann ihre Blicke
und ihr Lächeln sein Herz höher schlagen lassen. Er hat versucht, sie weiterhin
als die junge Tochter - die zu junge Tochter - seines Sergeants zu
betrachten. Aber in letzter Zeit ist ihm das nicht mehr gelungen. Immerhin ist
sie achtzehn.
»Du
hast nicht zufällig ein französisches Regiment gesehen, das heimlich durchs Tal
schleicht, Lily?«, fragt er, ohne sie anzusehen.
Sie
lacht. »Zwei, um genau zu sein, Sir«, sagt sie. »Eins von der Kavallerie und
eins von der Infanterie. Hätte ich etwas sagen sollen?«
»Nein,
nein.« Verschmitzt lächelt er sie an und da - es geschieht erneut. Er
sieht die Lebensfreude in ihrem Gesicht und sein Herz überschlägt sich. »Es ist
nicht so wichtig. Es sei denn, der alte Napoleon wäre dabei gewesen.«
Sie
lacht erneut. Als er sich neben sie setzt, ein Bein ausgestreckt, einen Arm
über das angewinkelte Knie des anderen Beines gelegt, fragt er sich, ob sie
weiß, wie sie auf Männer wirkt - wie sie auf ihn wirkt. Er ist keineswegs
der Einzige, der bemerkt hat, dass sie eine Frau geworden ist.
»Ich
nehme an, Lily«, sagt Neville, »dass du selbst an diesem gottverlassenen Ort
Schönheit entdecken kannst.«
»Oh,
nicht gottverlassen«, sagt sie ernst, und er wusste, dass sie so reagieren
würde. »Selbst diese blanken Felsen haben eine gewisse Erhabenheit, die
Ehrfurcht gebietet. Doch seht nur.« Sie hebt ihren schlanken Arm und deutet
hinab ins Tal. »Dort gibt es Gras und sogar ein paar Bäume. Die Natur lässt
sich nicht unterkriegen. Sie wird sich immer durchsetzen.«
»Das da
sind armselige Karikaturen eines Baumes. Und dieses Gras würde der Gärtner von
Newbury Abbey ohne zu zögern auf den Komposthaufen werfen.«
Als sie
sich zu ihm dreht und ihm in die Augen sieht, ertappt er sich dabei, wie er
vorsichtig einatmet und ein Teil von ihm von ihr abrücken möchte, während der
andere Teil sich wünscht, ihr so nahe zu kommen, dass er ...
»Wie
sieht der Garten dort aus?«, fragt sie ihn und in ihrer Stimme liegt
unverhohlene Sehnsucht. »Papa sagt, dass es nichts Schöneres gibt als einen
englischen Garten.«
»Grün«,
sagt er. »Ein üppiges, lebendiges Grün, das sich mit Worten nicht annähernd
beschreiben lässt. Gras und Bäume und Blumen in allen Farben und Formen.
Unmengen. Besonders Rosen. Im Sommer ist die Luft schwer von ihrem Duft.«
Selten
verspürt er Heimweh. Manchmal bereitet ihm diese Erkenntnis Schuldgefühle. Es
ist nicht so, dass er seinen Vater und seine Mutter nicht liebt. Er liebt sie.
Aber er ist erzogen worden, um eines Tages die Rolle seines Vaters als Graf zu
übernehmen und um seine angeheiratete Cousine Lauren zu heiraten, die mit ihm
zusammen auf Newbury Abbey aufwuchs und die er genauso liebt wie seine
Schwester Gwen. Es kam die Zeit, da er unter den liebevollen Zukunftsplänen
seines Vaters zu ersticken drohte, sich verzweifelt nach einem eigenständigen
Leben sehnte, nach Taten, Abenteuern, Freiheit ...
Er hat
seine Eltern sehr verletzt, als er zum Militär ging. Er vermutet, dass es
Lauren mehr als verletzt hat, als er sie beim Abschied so taktvoll wie irgend
möglich wissen ließ, dass er nicht versprechen könne, bald zurückzukehren, und
dass er nicht davon ausgehe, dass sie auf ihn warte.
»Wie
gern würde ich sie sehen und riechen.« Lily hat die Augen geschlossen und atmet
langsam ein, als könnte sie die Rosen von Newbury tatsächlich riechen.
»Das
wirst du eines Tages.« Ohne nachzudenken streckt er die Hand aus und befreit
mit einem Finger eine
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