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01 - Nacht der Verzückung

01 - Nacht der Verzückung

Titel: 01 - Nacht der Verzückung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mary Balogh
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Lily.
    »Ich
weiß nicht, wie ich es sagen soll«, sagte sie. »Ich lernte zu schweigen,
innezuhalten, nichts zu tun oder zu hören oder zu denken. Ich lernte zu sein. Ich lernte, dass fast jeder Platz zu einem jener speziellen Orte werden
kann, wenn ich es nur zulasse. Vielleicht lernte ich, diesen Ort in mir selbst
zu finden.«
    Er sah
sie an - hübsche, zarte Lily in ihrem neuen, blassgelben Kleid mit Umhang
und Strohhaube. Die heitere Gelassenheit, die er immer an ihr beobachtet hatte,
hatte also einen Grund. Sie hatte in ihrem kurzen, schwierigen Leben entdeckt,
was sich nur wenigen Menschen in einem ganzen Leben offenbarte, vermutete er.
Er selbst war nicht so weit vorgedrungen, obwohl er den Wert von Einsamkeit und
Stille zu schätzen wusste. Er fragte sich, ob Lilys Fähigkeit, sich in sich
zurückzuziehen, schlicht zu sein, wie sie sich ausdrückte, ihr geholfen
hatte, ihre schwere Prüfung in Spanien zu überstehen. Aber er wollte sie nicht
danach fragen. Er konnte es nicht einmal ertragen, daran zu denken.
    Sie
hatten das Tal erreicht und stiegen den Pfad hinan, der zur Hütte und zu dem kleinen
Teich am Fuße des Wasserfalls führte. Alle anderen waren bereits oberhalb des
Hügels hinter den Bäumen verschwunden. Als sie nicht mehr weit entfernt waren,
blieben sie in stiller Übereinkunft stehen und weideten ihre Augen an der
Schönheit der Szenerie und ihre Ohren an dem beruhigenden Geräusch fallenden
Wassers.
    »Ah
ja«, sagte sie schließlich mit einem Seufzen, »dies ist einer jener Orte. Ich
kann verstehen, warum du hierher kommst.«
    Ihm war
aufgefallen, dass sie ihn seit ihrer Rückkehr nicht beim Namen genannt hatte,
obwohl er sie daran erinnert hatte, dass sie seine. Frau war und ihn mit
Vornamen ansprechen könne. Er sehnte sich danach, ihn noch einmal aus ihrem
Mund zu hören. Er konnte sich daran erinnern, wie sein Name in ihrer
Hochzeitsnacht wie die intimste Liebkosung geklungen hatte. Aber er konnte, er
wollte nicht darauf bestehen. Er musste ihr Zeit lassen.
    »Komm,
ich zeige dir die Hütte«, sagte er. Mit einer gewissen Überraschung kam ihm
plötzlich in den Sinn, dass er niemals mit Lauren hierher gekommen war,
zumindest nicht mehr seit ihren Kindertagen.
    Es gab
nur zwei Räume, beide waren behaglich eingerichtet, in beiden gab es
Feuerstellen und daneben einen Stapel Scheite, um für einen kalten Tag -
oder eine kalte Nacht - jederzeit gerüstet zu sein. Hin und wieder
verbrachte er hier eine Nacht. Im vergangenen Jahr hatte er das manchmal getan,
wenn er an sein Leben mit dem 95. und an die Jahre auf der Iberischen Halbinsel
denken must und eine namenlose Sehnsucht ihn nicht zur Ruhe kommen ließ.
    Nein,
nicht namenlos. Hierher war er gekommen, wenn er sich nach Lily gesehnt hatte,
mit der ihn in den Jahren ihrer Bekanntschaft eine allmählich wachsende Liebe
verbunden hatte, in der schließlich auch eine körperliche Leidenschaft
aufgekeimt war, nur kurze Zeit vor ihrem gloriosen Erblühen in der Nacht, bevor
er glaubte, dass sie gestorben sei.
    Er
hatte versucht, auf Newbury nicht an Lily zu denken. Dort hatte er all seine
Gedanken auf sein neues Leben richten wollen, das Leben der Pflichterfüllung, zu
dem er erzogen und ausgebildet worden war, das Leben, zu dem Lauren gehörte.
Und von Zeit zu Zeit war er zu der Hütte gegangen, um sich seinen Erinnerungen
hinzugeben und seiner verbliebenen Trauer.
    Es war
immer noch seltsam zu erkennen, dass Lily nicht gestorben war. Dass sie
hier war. jetzt.
    Sie
warf einen kurzen Blick ins Schlafzimmer, aber es war der andere Raum, der sie
offensichtlich mehr faszinierte. Dort gab es Stühle, einen Tisch, Bücher,
Papier, Federkiele und Tinte - und einen direkten Blick über den Teich
zum Wasserfall. Er liebte es, hier zu sitzen, zu lesen oder zu schreiben. Er
liebte es auch, einfach nur dazusitzen und zu schauen. Vielleicht war es das,
was sie sein nannte.
    »Du
kommst her, um zu lesen«, sagte sie und nahm ein Buch auf, nachdem sie ihre
Haube abgesetzt und auf einem der Stühle abgelegt hatte. »Du lernst andere
Welten und Gedanken kennen. Und du kannst zurückgehen und sie immer wieder
lesen.«
    »Ja«,
sagte er.
    »Und
manchmal schreibst du deine eigenen Gedanken nieder«, sagte sie und fuhr mit
dem Finger über einen der Federkiele. »Und du kannst zurückkommen und es lesen
und dich erinnern, was du über irgendetwas gedacht oder gefühlt hast.«
    »Ja.«
Ihm fiel auf, dass sie wehmütig klang.
    »Das
muss das wunderbarste Gefühl auf

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