01 - Nacht der Verzückung
und dass die letzte Woche schwer für dich war. Du bist
mein Sohn und ich kenne dich - und mein Herz hat mit dir gelitten.«
»Aber?«
Er lächelte sie traurig an.
»Aber
sie ist nicht deine Frau«, erinnerte sie ihn, »und möchte es auch nicht sein.
Lauren war von Kindheit an für dich auserkoren. Ihr kennt euch gut, ihr
empfindet tiefe Zuneigung füreinander, ihr seid euch verstandesmäßig und in
Bezug auf eure Bildung ebenbürtig. Sie würde meine Rolle hier ohne anstrengende
Übergangszeit ausfüllen können. Sie würde deinem Leben Stabilität schenken und
der Kinderstube Kinder. Ich sehne mich nach Enkelkindern, Neville. Du kannst
vielleicht nicht nachvollziehen, wie enttäuscht ich war, als Gwendoline nach
ihrem Unfall eine Fehlgeburt hatte - nicht minder habe ich mit ihr
getrauert. Aber ich schweife ab. Du hattest dich entschlossen, Lauten zu
heiraten. Du warst glücklich mit dieser Entscheidung. Du standest mit ihr im
wahrsten Sinne des Wortes schon vor dem Altar. Lass die Unruhe der letzten
Wochen hinter dir und nimm deinen Lebensfaden dort wieder auf, wo du ihn fallen
gelassen hast. Zum Wohle aller.«
Er
reichte über den Tisch und nahm die Hand seiner Mutter in beide Hände. »Es tut
mir wirklich Leid, Mama«, sagte er. »Aber, nein.« Er versuchte eine Erklärung
zu finden, die. sie verstehen würde, aber er wusste, das es ihm unmöglich war.
Selbst seiner Mutter konnte er sein Herz nicht öffnen. »Geben wir uns allen
Zeit«, fügte er müde hinzu.
Sein
Leben schien in jenen Tagen nur aus Warten zu bestehen. Er wartete über eine
Woche auf die Antwort auf einen Brief, den er am Morgen von Lilys Abreise an
das Hauptquartier des Regiments geschrieben hatte. Endlich kam die Antwort -
er hatte eigentlich erwartet, dass das Problem weitaus schwieriger, wenn nicht
sogar unmöglich zu lösen sein würde. Er hatte den Brief nicht mit der Post
geschickt, sondern hatte ihn mit präzisen mündlichen Instruktionen von seinem
Kammerdiener überbringen lassen, der in der Armee sein Bursche gewesen war, ein
stämmiger, ziemlich griesgrämiger Mann, der die Interessen seines Herrn immer
gut vertreten hatte, indem er in seiner Pflichterfüllung nicht einen Millimeter
von dem ausgegebenen Befehl abgewichen war. Die Antwort gab Neville etwas zu
tun - und einen Vorwand Newbury Abbey zu verlassen, wo er sich nicht mehr
wohl fühlte.
Er
hätte einen Boten schicken können, um weiter gehende Nachforschungen anstellen
zu lassen. Doch er entschloss sich, persönlich nach Leavenscourt in
Leicestershire zu reisen, wohin Thomas Doyles Habseligkeiten nach ihrer
Rückkehr nach England geschickt worden waren. Doyles Vater war Stallknecht auf
dem Landgut von Leavenscourt.
Es war
eine lange Reise und das Wetter hatte sich verändert, es war nass, stürmisch
und kalt geworden. Neville war gezwungen, in einer geschlossenen Kutsche zu
reisen, was ihn immer schon angeödet hatte. Und er erwartete nicht, am Ende
seiner Reise etwas zu finden. Aber zumindest, dachte er, als das Wetter ihn
zwang, in einer windschiefen Herberge, die diesen Namen nicht verdiente,
abzusteigen, und er sich dort im Schankraum die Beine in den Bauch stand,
zumindest tat er etwas. Newbury war ihm verhasst geworden, so vieles dort
erinnerte ihn an Lily. Er hatte sogar den Fehler begangen, eine Nacht in der
Hütte zu verbringen, sich dort hinzulegen, wo sie zusammengelegen hatten,
erfüllt von einer solch überwältigenden Leere, dass er nicht einmal in der Lage
gewesen war, sich aufzuraffen, die Hütte wieder zu verlassen.
Leavenscourt
war ein kleiner, aber wohlhabend aussehender Besitz. Er sah sich mit leichter
Verwunderung um, als er sich dem Haus näherte. Hier war Thomas Doyle
aufgewachsen? Die Familie war nicht anwesend und sein Erscheinen versetzte die
Haushälterin in höchste Aufregung. Als er ihr erklärte, dass er gekommen sei,
um Mr. Doyle, einen der Stallknechte, Vater des verstorbenen Sergeant Thomas
Doyle vom 95. Regiment, zu sprechen, starrte sie ihn nur schweigend an. Sie
vergaß sogar ihre wippenden Hofknickse.
Es,
stellte sich heraus, dass Henry Doyle schon seit über vier Jahren tot war.
Neville
fühlte sich, als habe ihm jemand eine Tür ins Gesicht geschlagen. »Ich habe
erfahren«, sagte er, »dass das Regiment Sergeant Doyles Sachen nach seinem Tod
vor mehr als achtzehn Monaten hierher geschickt hat. Wissen Sie vielleicht
irgendetwas darüber, Ma'am?«
»Oh.«
Sie machte einen Knicks. »Ich nehme an, dass sie an William Doyle
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