01 - Nacht der Verzückung
ausgehändigt
wurden, Mylord. Henry Doyles Sohn.«
Ah.
»Und wo kann ich William Doyle finden?«, fragte er.
»Er ist
tot, Mylord«, ließ sie ihn wissen. »Er starb vor ungefähr einem Jahr bei einem
schrecklichen Unfall, Mylord.«
»Das
tut mir Leid zu hören«, sagte Neville. Und das tat es wirklich. Die zwei
Männer, die Lilys letzte noch lebende Verwandte gewesen wären, waren tot.
»Wissen Sie vielleicht, Ma'am, was mit seinen Habseligkeiten geschehen
ist?«
»Ich
nehme an, dass Bessie Doyle sie hat, Mylord«, sagte sie. »Sie ist Williams
Witwe. Sie lebt immer noch in der Hütte. Sie hat zwei Söhne aufzuziehen, und
der Herr brachte es nicht übers Herz, sie fortzuschicken. Sie ist Wäscherin.«
Lilys
Tante - und ihre Cousins.
»Könntet
Ihr mir vielleicht den Weg zu ihrer Hütte zeigen, Ma'am?«, fragte er.
Die
Haushälterin, erneut außerordentlich verwirrt, versicherte Seiner Lordschaft,
dass sie Bessie zum Haus bestellen könne, aber er lehnte ihr Angebot ab und sie
beschrieb ihm den Weg.
Bessie
Doyle war eine korpulente Frau mittleren Alters mit rosigem Gesicht. In ihrem
Haus herrschte einiges Durcheinander, aber es sah sauber aus. Sie begegnete dem
Anblick eines modisch gekleideten Grafen vor ihrer Türschwelle mit einem
abschätzenden Blick von Kopf bis Fuß und stemmte die Hände in ihre ausladenden
Hüften.
»Wenn
Ihr Eure Wäsche gewaschen haben wollt«, erklärte sie ihm, »seid Ihr hier
richtig. Allerdings gebe ich mich nicht mit so schicken Stiefeln ab wie denen
da, nachdem sie durch den Matsch getrampelt sind. Ihr tretet Euch besser die Füße
ab, wenn Ihr vorhabt hereinzukommen.«
Neville
konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Im Tross der Armee hatte es
zahlreiche Bessie Doyles gegeben, starke, fähige, praktische Frauen, die die
gesamte Armee Napoleon Bonapartes mit in die Hüfte gestemmten Händen und ein
paar bissigen Bemerkungen auf den Lippen empfangen würden.
ja,
Bessie erinnerte sich an den Brief, der eingetroffen war, um ihnen Thomas' Tod
mitzuteilen. Will hatte ihn zum Vikar gebracht, um ihn vorlesen zu lassen. Und
ja, hierher hatte man seinen Kram geschickt - alles nutzloses Zeugs. Es
hatte dort hinten auf einem Haufen gelegen - sie deutete auf eine Ecke
des Raumes, in dem sie standen - als sie vom Pflegen ihrer alten Mutter
zurückgekehrt war, die letztendlich, wie das Leben so spielt, doch nicht
gestorben war, dafür aber Will. Sie war von ihrer Mutter, die ein paar Meilen
entfernt lebte, mit der Nachricht zurückgerufen worden, dass Will vom Pferd
gestürzt war und sich bei der Landung auf einem Stein den Schädel eingeschlagen
hatte.
»Das
tut mir sehr Leid«, ließ Neville sie wissen.
»Nun
ja«, meinte sie philosophisch, »das beweist wenigstens, dass er einen Kopf
hatte, nicht wahr? Manchmal war ich mir da nicht so sicher.«
Bessie
Doyle, schloss Neville daraus, war keine untröstlich trauernde Witwe.
»Ich
hab das Zeug verbrannt«, sagte sie, bevor er fragen konnte. »Den ganzen Dreck.«
Neville
schloss kurz die Augen. »Haben Sie es zuvor genau durchgesehen?«, fragte er.
»War da kein Brief, kein Päckchen, kein ... kein Geld, vielleicht?«
Der bloße
Gedanke an Geld entlockte Mrs. Doyle ein kurzes, bellendes Lachen. Ihrer
weiblichen Einschätzung nach würde Will es innerhalb kürzester Zeit versoffen
haben, wenn etwas da gewesen wäre.
»Vielleicht
war das der Grund für seinen Sturz«, sagte sie, aber das war keine ernst
gemeinte Überlegung. »Nein, natürlich war da kein Geld. Tom hätte kein Geld
gespart, damit es nach seinem Tod so jemand wie Will in die Finger kriegt,
bestimmt nicht.«
»Thomas
Doyle hatte eine Tochter«, teilte ihr Neville mit.
Nun, Bessie
Doyle wusste nichts von einer Tochter und legte auch kein brennendes Verlangen
an den Tag, von ihrer lang verschollenen Nichte zu erfahren. Ihre Jungens
würden bald von den Stallungen zurück sein, erklärte sie Seiner Lordschaft. Sie
arbeiteten dort. Und sie würden hungrig genug sein, pro Kopf einen Ochsen zu
verspeisen.
Neville
verstand die Bemerkung als Aufforderung, sich auf den Weg zu machen. Aber als
er sich zum Gehen wandte, fiel ihm etwas ins Auge - ein Militärtornister,
der an einem Nagel neben der Tür hing.
»Gehörte
der Thomas Doyle?«, fragte er und zeigte darauf.
»Ich
nehme es an, ja«, sagte sie. »Das war das einzig Nützliche von dem ganzen Zeug.
Aber so was von verdreckt! Musste ihn fast durchscheuern, bevor man ihn
benutzen konnte.« Er war vollgestopft mit
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