01 - Nacht der Verzückung
verschwunden? Entsprach es der Wahrheit, dass sie sich mit dem halben
Vermögen des Grafen und, um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, mit einem seiner
Stallknechte aus dem Staub gemacht hatte? Wann würde der Graf von Kilbourne
Miss Edgeworth heiraten? Würden sie sich dieses Mal zu einer Hochzeit in
kleinem Kreis entschließen? Hatte Miss Edgeworth wirklich das Angebot des
Grafen verschmäht? Und wer war diese Lily überhaupt? War sie wirklich
nur die Tochter eines gemeinen Soldaten?
Und
dann wurde bekannt, dass jene Miss Doyle, die als Gesellschafterin bei Lady
Elizabeth Wyatt lebte, tatsächlich Lily Doyle war, vormals und nur für kurze
Zeit die Gräfin von Kilbourne. Und dass sie an Lady Ashtons Ballteilnehmen
würde. Nur sehr wenigen kam in den Sinn, dass Lily als Tochter eines einfachen
Sergeants der Infanterie, als Mitglied der Unterschicht, kein Recht hatte, an
einem Ball der besseren Gesellschaft teilzunehmen, und dass Elizabeth einen
schwerwiegenden Verstoß gegen die Etikette beging, indem sie sie dort
einführte.
Tatsache
war, dass jeder Lily Doyle unbedingt zu Gesicht bekommen wollte, und wenn das
nur auf dem Ashton-Ball möglich war, nun gut, dann sollte es also so
sein. Mancher, der sie bereits in der Kirche von Newbury gesehen hatte,
erinnerte sich an die dürre, ungepflegte Frau, die alle fälschlicherweise für
eine Bettlerin gehalten hatten, und fragte sich mit einer gewissen Faszination,
wie Lady Elizabeth die Dreistigkeit besitzen konnte, zu beabsichtigen, sie in
die Gesellschaft einzuführen - selbst wenn von ihr als bezahlter
Gesellschafterin erwartet wurde, dass sie sich still mit den Anstandsdamen in
eine Ecke zurückzog. Doch die meisten waren um ihrer Neugier willen froh, dass
Elizabeth diese Dreistigkeit besaß -sie wollten sich die Frau, die sie
nur so kurz gesehen hatten, genauer anschauen.
Diejenigen,
die Lily noch nie gesehen hatten, konnten es kaum erwarten, einen Blick auf die
Frau zu werfen, die den Grafen von Kilbourne auf der Pyrenäenhalbinsel zu einer
so unüberlegten Heirat verführt hatte und danach zum Gesprächsthema der
gesamten feinen Gesellschaft geworden war. Was für eine Frau mochte das nur
sein, fragte sich jeder, die ihr ganzes Leben mit dem Pöbel der Armee verbracht
hatte? Vulgär? Wie sonst?
Lady
Ashtons Ball war stets ein gut besuchtes Ereignis. Dieses Jahr machte da keine
Ausnahme. Mehr als das, die beau monde, die zu diesem fortgeschrittenen
Zeitpunkt der Saison für gewöhnlich von einem gewissen Überdruss geplagt wurde
und mangelndes Interesse erkennen ließ, blickte mit gehöriger Vorfreude einem
Amüsement entgegen, das mit Sicherheit anders werden würde.
Und
dann, zwei Tage vor dem Ball, traf der Graf von Kilbourne selbst in Kilbourne
House am Grosvenor Square ein. Einen Tag vor dem Ball wusste es ganz London -
und auch, dass er die Einladung zu Lady Ashtons Ball angenommen hatte.
***
Der Herzog von
Portfrey war zurück, wie Lily feststellte, als sie Elizabeths Salon betrat. Sie
hatte gewusst, dass er sie beide zum Ball begleiten würde, daher war sein
Anblick keine Überraschung. Dennoch zerrte dieses Treffen an ihren Nerven. Er
war erst kürzlich in die Stadt gekommen nicht, dass sie ihn gesehen hätte, wenn
er schon länger dort gewesen wäre. Sie hatte niemanden zu Gesicht bekommen
außer Elizabeth, den Dienstboten und den verschiedenen Lehrern, die ihr
Unterricht gegeben hatten. Sie wünschte, der Herzog wäre nicht in der Stadt,
obwohl sie in dem Monat, den sie ihn nicht gesehen hatte, zu der Überzeugung
gelangt war, dass an ihm nichts Unheimliches war.
Sie
blieb nicht in der Salontür stehen, aber sie ging auch nicht zu weit in den
Raum hinein - man hatte ihr die genaue Entfernung gezeigt -und
machte einen Knicks. Es hatte sie unglaublich viel Zeit gekostet, einen
formvollendeten Knicks zu erlernen. Ein einfaches Beugen des Knies und Neigen
des Kopfes waren nicht gut genug - schließlich wollte man nicht wie ein
Dienstmädchen aussehen. Das andere Extrem - mit Knie und Stirn beinahe
über den Boden zu schrammen -war viel zu überschwänglich, außer
vielleicht, man wurde der Königin oder dem Prinzregenten vorgestellt. Ihre
Versuche hatten Elizabeth jedes Mal in ansteckende Lachanfälle ausbrechen
lassen. Tatsächlich, so musste Lily zugeben, war das Lernen ein Spaß gewesen um
das Wort zu benutzen, mit dem Elizabeth so gern die Aktivitäten des vergangenen
Monats umschrieb. Sie hatten viel gelacht.
»Euer
Gnaden«, sagte sie, senkte
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