01 - Nicht ohne meine Tochter
aber er blieb unerbittlich. So mussten Mahtab und ich uns in der Nacht zu meinem Geburtstag auf Esseys Fußboden Platz schaffen, die Leichen der riesigen Kakerlaken wegwischen, die von Mehdis nie versiegendem Urin angelockt wurden, unsere Decken dort ausbreiten und versuchen, zu schlafen.
Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Essey hob ab und ich hörte, wie sie die Worte »Na, na.« wiederholte. »Das ist meine Familie.«, sagte ich. »Ich möchte mit ihnen sprechen. Ich habe heute Geburtstag.« In einem für mich uncharakteristischen Anflug von Aufbegehren entriss ich ihr den Hörer und vernahm die Stimme meiner Schwester Carolyn. Sie berichtete mir von Dads momentanem Gesundheitszustand, der stabil war, und erzählte mir alle Einzelheiten über den Fließbandjob, den Joe bei meinem alten Arbeitgeber, ITT Hancock, in Elsie bekommen hatte. Meine Augen füllten sich mit Tränen, und der Kloß in meinem Hals machte mir das Sprechen schwer. »Sag ihm, dass ich ihn lieb habe!«, war alles, was ich herausbringen konnte. »Sag auch John ..., dass ich ihn ... lieb habe.« Arn nächsten Morgen kam Moody von seinem langen Bereitschaftsdienst im Krankenhaus zurück. Er brachte einen kleinen Strauß Gänseblümchen und Chrysanthemen als Geburtstagsgeschenk mit. Ich bedankte mich bei ihm und erzählte dann schnell, dass Carolyn angerufen hatte, bevor Essey oder Reza es tun konnten. Zu meiner Erleichterung reagierte er darauf eher mit Gleichgültigkeit als mit Verärgerung.
Eines Tages nahm Moody uns mit zu einem Spaziergang in der Sommersonne, der uns ein paar Häuserblocks weit zur Wohnung eines älteren Ehepaares führte, das zu Moodys Verwandtschaft gehörte. Ihr Sohn Morteza, der ungefähr in Moodys Alter war, wohnte bei ihnen. Er hatte seine Frau vor einigen Jahren verloren, und seine Eltern halfen ihm nun, seine Tochter Elham aufzuziehen, die ein paar Jahre älter war als Mahtab. Sie war ein süßes Mädchen, hübsch, aber mürrisch und einsam, meist unbeachtet von ihrem Vater und den Großeltern. Schon am Anfang des Gesprächs gab Morteza deutlich zu erkennen, dass die Verwandtschaft Moody dazu gedrängt hatte, mir mehr Freiheit zu geben. »Wir freuen uns so, dich zu sehen!«, sagte er zu mir. »Keiner hat dich in der letzten Zeit irgendwo getroffen. Wir haben uns schon gefragt, was mit dir geschehen sein könnte und ob es dir auch gut geht.« »Es geht ihr gut.«, sagte Moody und Unbehagen klang aus seiner Stimme. »Du kannst ja sehen, dass es ihr gut geht.«
Morteza arbeitete für das Regierungsministerium, das die Fernschreiben kontrolliert, die ins Land hereinkommen und hinausgehen. Das war eine wichtige Position, und sie brachte viele Privilegien mit sich. An jenem Tag erklärte er im Laufe des Gesprächs, dass er vorhatte, Elham auf eine Reise in die Schweiz oder vielleicht nach England mitzunehmen. »Es wäre schön, wenn sie etwas Englisch lernen könnte, bevor wir abreisen.«, sagte er. »Oh, ich würde ihr gerne Englischunterricht geben.«, sagte ich. »Das ist eine großartige Idee.«, stimmte Moody zu. »Warum bringt ihr sie nicht morgens zu uns herüber? Betty kann ihr Englisch beibringen, während ich zur Arbeit gehe.«
Später, auf dem Heimweg, erklärte Moody, dass er sehr zufrieden sei. Elham war ein liebenswertes Kind, das sich viel besser benahm als die meisten iranischen Kinder, und Mody wollte ihr helfen. Er fühlte sich ihr besonders verbunden, denn wie er selbst hatte sie als Kind ihre Mutter verloren. Außerdem, sagte er mir, sei er froh, eine Beschäftigung für mich gefunden zu haben. »Ich möchte, dass du hier glücklich bist.«, sagte er. »Ich möchte hier auch glücklich sein.«, schwindelte ich.
Elham Englischunterricht zu geben, war die Antwort auf meine Gebete. Moody machte sich nicht länger die Mühe, Mahtab während des Tages in Malouks Haus zu bringen. Elham und ich brauchten Mahtab als Übersetzerin, und wenn wir nicht lernten, spielten die beiden Mädchen fröhlich zusammen. Reza und Essey planten eine Pilgerreise zur heiligen Masdsched in Meschad, wohin auch Ameh Bozorg auf der Suche nach einer Wunderheilung gereist war. Vor Mehdis Geburt hatten Reza und Essey ein Nazr gemacht und versprochen, die Pilgerfahrt zu unternehmen, wenn Allah ihnen einen Sohn schenkte. Die Tatsache, dass Mehdi missgebildet und geistig zurückgeblieben war, tat nichts zur Sache; sie mussten ihr Nazr erfüllen. Als sie uns einluden, sie zu begleiten, drängte ich Moody, das Angebot
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