01 - Nicht ohne meine Tochter
darauf letztlich nie ganz verlassen. Ich konnte die Situation nur dazu benutzen, meine eigene Lage zeitweilig zu verbessern, bis der Ärger wieder von Neuem begann, und das war abzusehen.
Wie konnte ich das am besten bewerkstelligen? Im Detail wusste ich es noch nicht genau, aber ich kam zu ein paar grundsätzlichen Überlegungen. Ich würde von jetzt an meine Anstrengungen, mit Mahtab den Iran zu verlassen und in die USA zurückzukehren, in eine andere Richtung lenken und verdoppeln, aber ein solcher Feldzug erforderte einen genau berechneten Angriff. Ich kam zu dem Schluss, dass ich von jetzt an Geheimnisse vor meiner Tochter haben musste. Es beunruhigte mich sehr, dass sie von Malouk ins Kreuzverhör genommen worden war. Ich konnte meine Tochter nicht der Gefahr aussetzen, zu viel zu wissen. Ich würde nicht länger mit ihr über die Rückkehr in die Vereinigten Staaten sprechen. Diese Entscheidung tat mir in einer Hinsicht sehr weh. Ich brannte darauf, meine guten Neuigkeiten, wenn es welche geben sollte, mit Mahtab zu teilen. Aber andererseits war mir in meinem Innersten klar, dass ich ihr durch mein Schweigen mehr Liebe zuteil werden ließ. Ich würde keine Hoffnungen mehr wecken. Erst wenn wir uns auf dem Weg nach Amerika befänden - und ich hatte immer noch keine Ahnung, wie wir das schaffen sollten -, würde ich es ihr sagen.
Und so begannen wir, jede für sich, ihre eigene schützende Mauer um sich zu bauen, während Moody sich aus seinen wahnsinnigen Beweggründen auf der Suche nach größerem emotionalen Rückhalt seiner Frau und seiner Tochter zuwandte. All das führte zu einem gespannten Frieden, einem seltsamen Dasein, das in seinen äußeren Einzelheiten einfacher, ruhiger, sicherer war, dessen Spannungen jetzt aber nur tiefer verborgen lagen. Unsere Alltagssituation verbesserte sich, aber innerlich hatten wir einen Kollisionskurs eingeschlagen, der bedrohlicher und verhängnisvoller werden konnte als jemals vorher. Mammal und Nasserine kamen nicht in ihre Wohnung zurück, sondern wohnten bei Verwandten, doch Reza und Essey zogen wieder unten ein. Essey und ich nahmen erneut unsere misstrauische Freundschaft auf.
Der sechzehnte Tag des persischen Monats Oräibehescht, der in diesem Jahr auf den 6. Mai fiel, war der Geburtstag von Imam Mehdi, des zwölften Imams. Vor Jahrhunderten verschwand er, und die Schiiten glauben, dass er am Tag des Jüngsten Gerichts zusammen mit Jesus wieder erscheinen wird. Es ist Brauch, ihn an seinem Geburtstag um Gefälligkeiten zu bitten. Essey lud mich in das Haus einer alten Frau ein, die das vierzigste Jahr eines Nazr vollendete. Ihr Abkommen bestand darin, dass sie als Gegenleistung für die Heilung ihrer Tochter von einer Krankheit, die beinahe tödlich ausgegangen war, jedes Jahr eine Feier zum Geburtstag des Imam veranstalten würde. Essey sagte, dass ungefähr zweihundert Frauen da sein würden, und da ich mir nur einen langen Tag voll Heulen und Gebet vorstellen konnte, sagte ich ihr: »Nein, ich will nicht mitgehen.« »Bitte, komm doch.«, sagte Essey. »Jeder, der einen Wunsch hat, der ihm in Erfüllung gehen soll, geht zu der Frau und bezahlt ihr Geld, damit sie aus dem Koran liest und für ihn betet. Bevor noch ein Jahr vergangen ist, vor dem nächsten Geburtstag des Imam Mehdi, wird der Wunsch wahr werden. Hast du denn keinen Wunsch, der dir erfüllt werden soll?« Sie lächelte mich in echter Freundschaft an. Sie kannte meinen Wunsch! »Gut,«, sagte ich, »wenn Moody mich gehen lässt.« Zu meiner Überraschung gab Moody die Erlaubnis. Fast alle seiner weiblichen Verwandten würden da sein, und Essey würde auf Mahtab und mich aufpassen. Er wollte, dass ich an heiligen Festen teilnahm.
An dem entsprechenden Morgen war das Haus voller Leute. Die Männer versammelten sich in Rezas Wohnung, während sich die Frauen zu Dutzenden für die ungefähr einstündige Fahrt nach Süden, zum Haus der alten Frau, die beim Flughafen wohnte, in Autos drängten. Der Tag brachte eine große Überraschung für mich. Wir betraten ein Haus voll unverschleierter Frauen, die die schönsten Festtagskleider trugen - karmesinrote Partykleider mit tiefen Ausschnitten, trägerlose, mit Pailletten besetzte Kleider und hautenge Hosenanzüge. Alle hatten ihr Haar frisch frisiert und reichlich Make-up aufgelegt. Goldschmuck wurde zur Schau getragen. Laute Bandari-Musik mit den charakteristischen Trommeln und Becken schallte aus mehreren Stereo-Lautsprechern. Überall in der
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