01 - Nicht ohne meine Tochter
ging früh am Morgen zur Schule. Alles, was ich tun musste, war, mit ihr zur Bushaltestelle zu gehen und sie nachmittags dort wieder abzuholen.
An den meisten Tagen blieb Moody zu Hause und arbeitete in seiner Praxis. Als sich seine Fachkompetenz herumgesprochen hatte, bekam er viele Patienten. Die Leute genossen besonders die Erleichterung, die ihnen durch seine Manipulationsbehandlungen verschafft wurde, obwohl es da einige Probleme mit den vorsichtigeren weiblichen Patienten gab. Um dieser Schwierigkeit Herr zu werden, wies Moody mich in die Vorgänge dieser Behandlungsmethode ein. Dazwischen und neben meinen Pflichten als Empfangsdame hatte ich am Tag normalerweise nur wenig Möglichkeiten, mich frei zu bewegen. Ich lebte nur für Dienstag und Mittwoch, die Tage, an denen Moody im Krankenhaus arbeitete. Diese Tage hatte ich ganz für mich, und ich konnte mich ganz nach Belieben überall in der Stadt bewegen.
Ich begann jetzt, Helen regelmäßig in der Botschaft aufzusuchen, entweder am Dienstag oder Mittwoch. Wöchentlich schickte ich Briefe ab und bekam auch welche von meinen Eltern und meinen Kindern. Einerseits war das ein wundervolles Gefühl, aber es war auch deprimierend. Ich vermisste sie so! Und ich machte mir bei jedem Brief meiner Mutter Sorgen, in dem sie Dads sich verschlechternden Zustand beschrieb. Sie wusste nicht, wie lange er noch durchhalten würde. Er sprach täglich von uns und betete, dass er uns vor seinem Tod noch einmal sehen konnte. Ich rief Amahl täglich an, wenn ich konnte. Jedes Mal erkundigte er sich nur nach meiner Gesundheit und fügte »Haben Sie Geduld!« hinzu.
Eines Tages musste ich mehrere Besorgungen machen. Moody hatte mich angewiesen, einen zusätzlichen Schlüssel für unsere Wohnung machen zu lassen. Ich wusste, es gab einen Schlüsselladen ein paar Geschäfte vom Pol-Pizza-Laden entfernt. Auf meinem Weg dorthin kam ich an einer Buchhandlung vorbei, die ich zuvor nicht bemerkt hatte, und aus einem inneren Impuls heraus trat ich ein. Der Geschäftsinhaber sprach Englisch. »Haben Sie Kochbücher in englischer Sprache?«, fragte ich. »Ja. Unten.« Ich ging hinunter, fand einige gebrauchte Kochbücher mit Eselsohren und fühlte mich wie im Himmel. Wie hatte ich diese einfache Möglichkeit, Rezepte zu studieren, vermisst! Ganze Menüs setzte ich im Geiste zusammen und hoffte nur, die nötigen Zutaten zu finden oder sie ersetzen zu können.
Ich wurde von einer Kinderstimme aus meiner Verzückung gerissen. Ein kleines Mädchen sagte auf Englisch: »Mommy, kaufst du mir ein Märchenbuch?«. In einem Seitengang sah ich eine Frau und ein Kind, beide in Mäntel und Schals gehüllt. Die Frau war groß und dunkelhaarig, und ihre Haut hatte den leichten Bronzestich der meisten Iraner. Sie sah nicht amerikanisch aus, aber dennoch fragte ich sie: »Sind Sie Amerikanerin?« »Ja.«, antwortete Alice Sharif.
Wir wurden sofort Freundinnen in diesem fremden Land. Alice war eine Grundschullehrerin aus San Francisco und mit einem amerikanischen Iraner verheiratet. Kurz nachdem ihr Mann Malek seinen Dr. phil. in Kalifornien gemacht hatte, war sein Vater gestorben. Er und Alice lebten nun für einige Zeit in Teheran, um den Nachlass zu regeln. Es gefiel ihr hier nicht, aber sie machte sich keine ernstlichen Sorgen. Ihre Tochter Samira - sie nannten sie Sammy - war in Mahtabs Alter. »Ach du meine Güte!«, sagte ich, als ich auf die Uhr sah. »Ich muss meine Tochter vom Schulbus abholen. Jetzt muss ich aber rennen.« Wir tauschten noch unsere Telefonnummern aus. Am Abend erzählte ich Moody von Alice und Malek. »Wir müssen sie einladen.«, sagte er mit ehrlicher Vorfreude. »Sie müssen Chamsey und Zaree kennenlernen.« »Wie wäre es mit Freitag?«, schlug ich vor. »Ja.«, er stimmte sogleich zu.
Er war genauso gespannt wie ich, als der Freitagnachmittag kam. Er mochte Alice und Malek sofort leiden. Alice war eine intelligente, temperamentvolle Person, eine großartige Gesprächspartnerin, immer für eine lustige Geschichte zu haben. Als ich an dem Abend unsere Gäste beobachtete, fiel mir auf, dass von allen Leuten, die ich im Iran kannte, Alice und Chamsey die einzigen waren, die wirklich glücklich zu sein schienen. Vielleicht lag es daran, weil sie beide wussten, dass sie bald in die Vereinigten Staaten zurückkehren würden.
Alice erzählte einen Witz: »Ein Mann ging in ein Bildergeschäft und sah ein Gemälde von Khomeini. Er wollte das Bild kaufen, und der
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