01 - Nicht ohne meine Tochter
nahmen. Moody, Mahtab und ich aßen still und benutzten die richtigen Utensilien. Das Abendessen war schnell vorüber, und die Gäste ließen sich im Wohnzimmer nieder. Moody raunte mir zu: »Sieh mal, wo Mahtab gesessen hat. Da liegt nicht ein Körnchen Reis neben ihrem Teller oder auf dem Boden. Und dann sieh dir an, wo die Erwachsenen gesessen haben.« Ich wollte gar nicht hinsehen. Ich wusste, dass ich bis spät in die Nacht hinein auf sein würde, um die Reiskörner aufzulesen und andere Essensreste von den Wänden und aus dem Teppich zu kratzen. Im Wohnzimmer servierte ich Tee. Ameh Bozorg tauchte tief in die Zuckerdose und hinterließ eine dicke, süße Spur auf dem Teppich, als sie Löffel für Löffel in ihr kleines Gläschen schaufelte.
Eines Abends gingen wir zum Haus von Akram Hakim, der Mutter Jamals, einem von Moodys »Neffen«, der uns - das war allerdings schon viele Jahre her - zum Frühstück in einem Hotel in Austin getroffen hatte und uns damals die Nachricht überbrachte, dass die US-Botschaft in Teheran besetzt worden war. Akram Hakims Nichte war da, und sie war sichtlich aufgeregt. Ich fragte sie, warum, und sie erzählte mir ihre Geschichte auf Englisch. Früher am selben Tag hatte sie in ihrer Wohnung Staub gesaugt, als sie plötzlich Lust auf Zigaretten bekam. Sie zog ihren Manto und ihren Rusari an und ging auf die andere Straßenseite, während ihre Töchter, die zehn und sieben Jahre alt waren, allein in der Wohnung blieben. Als sie die Zigaretten gekauft hatte, wurde sie auf dem Weg zurück über die Straße von der Pasdar angehalten. Mehrere Pasdar-Frauen zogen sie in ihr Auto und entfernten mit Aceton ihren Nagellack und Lippenstift. Sie schrien sie eine Weile an und erklärten ihr dann, dass sie sie ins Gefängnis bringen würden. Sie flehte sie an, vorher ihre Töchter aus der Wohnung holen zu dürfen. Die Pastar-Frauen machten sich keine Gedanken über die Mädchen und hielten die Mutter ungefähr zwei Stunden lang im Auto fest, um ihr die Leviten zu lesen. Sie fragten sie, ob sie ihre Gebete gesagt hätte, und sie verneinte das. Bevor sie sie laufen ließen, verlangten sie von ihr, zu versprechen, nie wieder Nagellack oder sonst irgendein Make-up zu tragen. Sie musste außerdem versprechen, dass sie von jetzt an fromm ihre Gebete sagte. Wenn nicht, warnten die Pasdar-Frauen sie, sei sie ein schlechter Mensch und würde in die Hölle kommen. »Ich hasse die Pasdar.«, sagte ich zustimmend. »Sie machen mir Angst.«, sagte die Frau. »Sie sind gefährlich.« Sie erzählte, dass die Pasdar auf den Straßen Teherans, wo sie die Einhaltung der Kleidungsvorschriften erzwangen, nur ein Ärgernis wären. Aber sie erfüllten auch die Aufgaben einer Geheimpolizei auf der Suche nach Feinden der Republik - oder auch nur nach hilflosen Menschen, die sie einschüchtern konnten. Wann immer die Pasdar eine Frau gefangennahmen, die hingerichtet werden sollte, wurde sie vorher von den Männern vergewaltigt, weil sie sich an das Motto hielten: »Eine Frau sollte nie als Jungfrau sterben.«
Mein erster und letzter bewusster Gedanke jeden Tag war, den Stand meiner Fluchtpläne zu beurteilen. Es geschah nichts Besonderes, aber ich tat mein Bestes, um jeden nur möglichen Kontakt aufrechtzuerhalten. Ich blieb mit Helen von der Botschaft in Verbindung und rief Amahl fast jeden Tag an. Jedes Detail des Alltags wurde auf mein größeres Ziel hin abgestimmt. Ich war jetzt entschlossen, eine gute und tüchtige Ehefrau und Mutter zu sein, und zwar aus drei Gründen. Erstens, um den Schein von Normalität und Glück zu verfestigen und jedem Misstrauen zu begegnen, dass Moody noch hegen könnte. Zweitens, um Mahtab eine Freude zu machen und ihre Gedanken von unserer Häftlingssituation abzulenken. »Können wir nach Amerika zurück, Mommy?«, fragte sie gelegentlich. »Nein, jetzt noch nicht.«, sagte ich dann. »Vielleicht wird Daddy eines Tages seine Meinung ändern, und dann gehen wir alle nach Hause, aber das dauert sicher noch lange.« Diese Vorstellung verringerte ihren Kummer ein wenig, aber meinen nicht. Mein dritter Grund, ein »fröhliches« Zuhause zu schaffen, war, mich selbst vor dem Verrücktwerden zu bewahren. Ich hatte keine Möglichkeit, zu erfahren, was mit Mahtab und mir geschehen würde, wenn wir endlich in die Freiheit ausbrachen. Ich wollte mir über die möglichen Gefahren nicht so viele Gedanken machen. Manchmal dachte ich an Suzanne und Trish, und wie ich vor ihrer
Weitere Kostenlose Bücher