01 - Nicht ohne meine Tochter
Forderung zurückgeschreckt war, dass Mahtab und ich sofort mit ihnen fliehen sollten. Hatte ich einen Fehler gemacht? Ich konnte es nicht mit Sicherheit sagen. Würde ich jemals genügend Mut aufbringen? Würden Mahtab und ich, wenn es soweit war, in der Lage sein, allen Herausforderungen, denen wir uns stellen mussten, ins Gesicht zu sehen? Ich konnte es nicht wissen. Bis dahin waren die Tage leichter, wenn ich beschäftigt war.
Moody versuchte, mir eine Freude zu machen und schlug vor, ich sollte einen nahegelegenen Schönheitssalon besuchen. Das erschien mir absurd in einem Land, in dem es nicht erlaubt war, mein Haar und mein Gesicht zu zeigen, aber ich ging trotzdem hin. Als eine Frau mich fragte, ob ich meine Augenbrauen gezupft haben wollte und ob sie ein paar Härchen im Gesicht entfernen sollte, willigte ich ein. Statt Wachs oder Pinzetten zu benutzen, brachte die Kosmetikerin einen langen dünnen Baumwollfaden zum Vorschein. Den hielt sie stramm, zog ihn über meinem Gesicht hin und her und riss so die Haare aus. Ich hätte vor Schmerz schreien können, aber ich ließ die Prozedur über mich ergehen und fragte mich, warum Frauen es zuließen, im Namen der Schönheit so gepeinigt zu werden. Als es vorbei war, fühlte sich mein Gesicht ganz rauh an. Die Haut brannte. Am Abend bemerkte ich einen Ausschlag in meinem Gesicht, der sich schnell über Hals und Dekolleté ausbreitete. »Es muss ein schmutziger Faden gewesen sein.«, brummte Moody.
Eines Abends kam ich vom Supermarkt nach Hause und fand Moodys Wartezimmer vollgestopft mit Patienten. »Mach die Türen auf.«, sagte Moody zu mir. »Lass ein paar im Wohnzimmer sitzen.« Eigentlich wollte ich die fremden Iraner nicht in mein Wohnzimmer lassen, aber ich tat wie geheißen, öffnete die getäfelten Holztüren und bedeutete einigen stehenden Patienten, sich auf das Sofa und die Stühle zu setzen.Eine meiner Pflichten an der Rezeption war es, den Patienten Tee zu servieren. Ich verabscheute die Aufgabe, und an diesem Abend hatte ich besonders schlechte Laune, weil ich wusste, dass mein Wohnzimmer schnell mit verschüttetem Tee und Zuckerspuren bedeckt sein würde. Dennoch servierte ich den Tee, und als ich mich umdrehte, um das Tablett wieder in die Küche zu bringen, fragte mich eine Frau in meinem Wohnzimmer: »Sind Sie Amerikanerin?« »Ja.«, sagte ich. »Sprechen Sie Englisch?« »Ja. Ich habe in den Vereinigten Staaten studiert.« Ich setzte mich neben sie und bekam sogleich bessere Laune. »Wo?«, fragte ich. »In Michigan.« »Oh, ich komme aus Michigan. Wo in Michigan haben Sie studiert?« »In Kalamazoo.«
Sie hieß Fereschteh Noroozi. Sie war eine hübsche junge Frau, die jemand aus dem Krankenhaus an Moody verwiesen hatte. Sie litt an Hals- und Rückenschmerzen, deren Ursache man nicht feststellen konnte, und sie hoffte, dass die Manipulationsbehandlung ihr helfen würde. Wir sprachen ungefähr eine Dreiviertelstunde miteinander, während sie wartete. Fereschteh kam häufig zur Behandlung wieder, und ich lud sie immer ins Wohnzimmer ein, damit wir uns unterhalten konnten. Eines Abends vertraute sie sich mir an. »Ich weiß, woher die Schmerzen kommen.«, sagte sie. »Ja? Woher denn?« »Sie kommen vom Stress.« Sie begann zu weinen. Vor einem Jahr, erzählte sie mir, war ihr Mann eines Abends weggefahren, um zu tanken, und nie wiedergekommen. Verzweifelt hatten Fereschteh und ihre Eltern alle Krankenhäuser abgesucht, aber sie hatten keine Spur von ihm gefunden. »Nach fünfundzwanzig Tagen rief die Polizei an.«, sagte Fereschteh unter Tränen. »Sie sagten: 'Kommen Sie und holen Sie seinen Wagen ab.', aber weiter wollten sie mir nichts über ihn sagen.« Fereschteh und ihre ein Jahr alte Tochter zogen zu ihren Eltern.
Vier schreckliche Monate vergingen, bevor die Polizei ihr mitteilte, dass ihr Mann im Gefängnis war und dass sie ihn besuchen durfte. »Sie haben ihn einfach festgenommen und ins Gefängnis gesteckt.«, schluchzte Fereschteh. »Es ist jetzt über ein Jahr her, und sie haben ihn noch nicht mal wegen irgendetwas angeklagt.« »Wie können sie das denn machen?«, fragte ich. »Warum?« »Er hat ein Diplom in Wirtschaftswissenschaften.«, erklärte Fereschteh. »Ich auch. Und wir haben beide in den USA studiert. Vor solchen Leuten hat die Regierung Angst.« Fereschteh wollte nicht, dass ich irgendjemandem von ihrem Mann erzählte. Sie hatte Angst, dass sie auch eingesperrt würde, wenn sie sich zu sehr
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