01 - Nicht ohne meine Tochter
dem Iran«, sagte er, »ist das der sicherste. Hier habe ich die besten Beziehungen. Bandar Abbas und die anderen Projekte gehen nicht schnell genug. Der Weg über die Türkei ist wegen des Schnees in den Bergen ausgeschlossen. Um diese Jahreszeit arbeiten dort keine Schmuggler. Der Schnee ist viel zu tief, und es ist zu kalt. Der Weg über Zahidan ist ohnehin viel sicherer als der über die Türkei. Einmal wegen meines Freundes und dann deshalb, weil die Grenze in die Türkei viel schärfer bewacht wird. Dort sind Pasdaran zuständig.«
Wir mussten fort. Wir hatten nicht mehr den Spielraum, uns auf Amahls Lieblingssatz »Haben Sie Geduld!« einzulassen. Stattdessen würden wir Vaters Rat folgen müssen: »Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.« Ich gab Amahl einen Plastikbeutel zur Aufbewahrung. Er enthielt eine Garnitur Kleidung zum Wechseln für Mahtab und mich und ein paar Gegenstände, die ich nicht zurücklassen wollte. Darunter war ein großer, schwerer Wandteppich, auf dem Männer, Frauen und Kinder sich an der Schönheit eines ländlichen Baches freuten. Die Farbzusammenstellung von Altrosa, Hellblau und Grün war wunderbar harmonisch. Ich hatte ihn zu einem kleinen quadratischen Paket zusammengefaltet. Außerdem hatte ich die Fläschchen mit Safran, die ich von Ameh Bozorg zu Weihnachten bekommen hatte, mitgenommen.
Während der Unterhaltung mit Amahl schossen mir jede Menge Gedanken durch den Kopf. Die Nachrichten aus Amerika waren bittersüß. Dad hielt hartnäckig am Leben fest, er wartete darauf, uns noch einmal zu sehen. Ich hatte den Willen, und Amahl sorgte für den Weg. Morgen würde ich Mahtab ohne ihr Wissen zwingen, zu trödeln, sie bei den Vorbereitungen für die Schule aufhalten. Ich musste sicher sein, dass sie den Schulbus verpasste. Dann würde ich mich zu Fuß mit ihr auf den Weg in die Schule machen. Draußen auf der Straße, in Sicherheit vor Moody, würde ich ihr die glückliche Mitteilung machen, dass wir nach Amerika fahren würden. Während mein nichtsahnender Mann zur Arbeit ins Krankenhaus eilte, würden Mahtab und ich uns mit Amahls Männern treffen, die uns für den Flug nach Zahidan auf schnellstem Wege zum Flughafen befördern würden. Es war Ironie, dass wir dieselbe Route nehmen würden die Miss Alavi geplant hatte. Ich fragte mich, was ihr wohl zugestoßen war. Vielleicht war sie verhaftet worden. Vielleicht war sie selbst aus dem Iran geflohen. Letzteres hoffte ich.
»Wie viel wird es kosten?«, fragte ich Amahl. »Sie verlangen zwölftausend Dollar.«, erwiderte er. »Machen Sie sich darum keine Sorgen. Die schicken Sie mir, wenn Sie in Amerika sind.« »Ich werde das Geld unverzüglich schicken.«, schwor ich. »Und vielen Dank.« »Keine Ursache.« Warum sollte Amahl so viel für Mahtab und mich tun, sogar zwölftausend Dollar vertrauensvoll aufs Spiel setzen? Ich meinte, zumindest einige der Antworten zu kennen, obwohl ich ihn nie direkt gefragt hatte.
Erstens glaubte ich ernsthaft, dass Amahl die Antwort auf meine Gebete war, die christlichen und die islamischen, auf mein Nazr, auf meine Bitte an Imam Mehdi, auf meine Pilgerfahrt nach Meschad. Wir dienten doch dem gleichen Gott. Amahl hatte etwas zu beweisen, sich selbst, mir, der Welt. Achtzehn Monate lang hatte ich in einem Land gefangen gesessen, das, wie mir schien, fast ausschließlich von Bösewichten bewohnt war. Der Ladeninhaber Hamid war der erste, der mich eines Besseren belehrte. Miss Alavi, Chamsey, Zaree, Fereschteh und ein paar andere hatten mir bewiesen, dass man einen Menschen nicht nach seiner Nationalität beurteilen darf. Selbst Ameh Bozorg hatte auf die ihr eigene seltsame Art bewiesen, dass sie ein paar gute Absichten hatte. Nun war Amahl an der Reihe. Seine Motivation war zugleich einfach und komplex: Er wollte zwei unschuldigen Opfern der iranischen Revolution helfen. Er verlangte keine Gegenleistung. Seine Freude über unseren Erfolg würde ihm Belohnung genug sein. Aber würde unsere Flucht gelingen? Der Zeitungsartikel über das gekidnappte australische Ehepaar und Mr. Vincops Worte ängstigten mich. Als ich die Möglichkeit von Schmugglern zum ersten Mal erwähnt hatte, hatte Mr. Vincop von der Botschaft mich gewarnt: »Sie nehmen Ihr Geld, bringen Sie bis an die Grenze, vergewaltigen Sie, bringen Sie um oder liefern Sie an die Staatsmacht aus.« Aber die Warnung hatte keine Gültigkeit mehr. Meine Entscheidung war klar. Ich konnte Freitag in aller Bequemlichkeit
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