01 - Nicht ohne meine Tochter
ins Flugzeug steigen und nach Amerika fliegen und meine Tochter niemals wiedersehen. Oder ich konnte morgen meine Tochter an die Hand nehmen und mich auf die gefährlichste Reise einlassen, die ich mir vorstellen konnte. Eigentlich blieb mir keine Wahl. Ich konnte in den Bergen zwischen Iran und Pakistan sterben, oder ich würde Mahtab sicher nach Amerika bringen.
Ich erschauerte in dem eisigen Wind, als ich aus dem orangefarbenen Taxi stieg. Während ich durch den Matsch auf dem Bürgersteig nach Hause stapfte, war ich in Gedanken vertieft. Bald würde Mahtab aus der Schule zurück sein. Später würde Moody aus dem Krankenhaus kommen. Abends würden Chamsey, Zaree und die Hakims vorbeischauen, um mir Lebewohl zu sagen. Soweit sie wussten, würde ich Freitag zu meinem sterbenden Vater fahren und nach der Beerdigung zurückkommen. Ich musste mich gut vorbereiten, um alle die Hoffnungen und Befürchtungen zu verbergen, die mir im Kopf herumwirbelten. Ich war schon fast zu Hause, als ich hochguckte und sah, wie Moody und Mammal am Tor standen und mich wütend anstarrten. Die Wut ließ Moody den kalten Wind vergessen, der den nun dichter fallenden Schnee vor sich hintrieb. »Wo warst du?«, schrie er. »Einkaufen.« »Lügnerin! Du hast keine Pakete.« »Ich habe nach einem Geschenk für Mom gesucht, aber ich habe nichts gefunden.« »Lügnerin! Du führst irgendwas im Schilde. Geh ins Haus. Du bleibst dort, bis du Freitag zum Flughafen musst.« Mammal ging los, um Besorgungen zu machen. Moody schob mich durch das Tor und wiederholte seinen Befehl.
Ich durfte nicht aus dem Haus. Ich durfte das Telefon nicht benutzen. Er würde mich die nächsten Tage einsperren, bis ich ins Flugzeug stieg. Er hatte sich heute frei genommen. Er würde morgen auch frei nehmen und zu Hause bleiben, wo er mich im Auge behalten konnte. Während er sich um seine Patienten kümmerte, schloss er das Telefon in seine Praxis ein. Ich verbrachte den Nachmittag im abgeschlossenen vorderen Innenhof, der von Moodys Praxisfenster aus gut zu übersehen war. Mahtab und ich bauten einen Schneemann und schmückten ihn mit einem violetten Schal, Mahtabs Lieblingsfarbe. Wieder einmal war ich in die Enge getrieben, in der Falle. Mahtab und ich würden morgen früh unsere Verabredung mit Amahls Männern nicht einhalten können, aber ich hatte keine Möglichkeit, ihn zu erreichen, um ihm von der neuesten beängstigenden Wendung zu berichten.
Abends zitterte ich vor Angst und Kälte, während ich die Vorbereitungen für unsere Gäste traf, und beschäftigte mich mit den Händen, während meine Gedanken rasten. Ich musste Amahl irgendwie erreichen. Er musste einen Weg finden, mich und Mahtab aus diesem Haus herauszubekommen. Wieder zitterte ich, und diesmal merkte ich, dass das Haus wirklich kalt wurde. Mir kam eine Idee. »Die Heizung ist aus.«, murrte ich zu Moody hin. »Ist sie kaputt? Oder haben wir kein Öl mehr?«, fragte er. »Ich geh' Maliheh fragen, was mit der Heizung los ist.«, sagte ich und hoffte, dass es gelassen genug klang. »Ist gut.« Ich bemühte mich, nicht merken zu lassen, wie eilig ich es hatte, in Malihehs Wohnung zu kommen. In Farsi fragte ich sie, ob ich ihr Telefon benutzen dürfe. Sie nickte. Ich wusste, dass sie ein englisches Telefongespräch nicht verstehen konnte.
»Es wird nicht gehen.«, sagte ich. »Ich komme nicht weg. Ich kann nicht aus dem Haus. Er war heute Morgen hier, als ich nach Hause kam, und er hat Verdacht geschöpft.« Amahl seufzte schwer. »Es hätte ohnehin nicht funktioniert.«, sagte er, »Ich habe gerade mit den Leuten in Zahidan gesprochen. Sie haben die schwersten Schneefälle seit hundert Jahren. In den Bergen gibt es kein Durchkommen.« »Was sollen wir machen?«, rief ich aus. »Steigen Sie einfach nicht in das Flugzeug. Er kann Sie nicht selbst an Bord bringen.« »Flieg nicht.«, sagte Chamsey abends, als sie mich einen Moment allein in der Küche sprechen konnte. »Steig nicht in das Flugzeug. Ich kann sehen, was los ist. Sowie du fort bist, bringt er Mahtab zu seiner Schwester, und dann ist er sofort wieder völlig in den Händen seiner Familie. Flieg nicht.« »Ich will ja nicht.«, sagte ich. »Nicht ohne Mahtab.« Aber ich fühlte, wie sich Moodys Schlinge fester um meinen Hals legte. Er hatte mich in die Ecke gedrängt; er konnte drohen, mir Mahtab wegzunehmen. Den Gedanken konnte ich nicht ertragen, und ich dachte auch keinesfalls daran, sie zurückzulassen, wenn ich
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