01 - Nicht ohne meine Tochter
nicht, was Moody als nächstes vorhatte, aber ich wusste jetzt, dass er die Polizei noch nicht alarmiert hatte, und ich vertraute darauf, dass meine Drohung ihn auch weiter daran hindern würde, wenigstens heute Abend. Ich wandte mich nun Mahtab zu, die dem Ende meiner Unterhaltung mit Moody gespannt gelauscht hatte. Wir sprachen von unserer Flucht nach Amerika. »Bist du sicher, dass du es willst?«, fragte ich. »Du weißt, wenn wir es tun, wirst du deinen Daddy niemals wiedersehen.« »Ja.«, sagte sie. »Das ist es, was ich will. Ich will nach Amerika gehen.« Ich war wieder einmal erstaunt, wie gut sie alles begriff. Die Entschlossenheit in ihrer Stimme machte auch mich stärker. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Im Laufe der nächsten paar Stunden tauschten wir aufgeregt Erinnerungen über Amerika aus. Wir waren schon so lange fort! Unser Plaudern wurde einige Male von Amahl unterbrochen, der anrief, um zu hören, ob wir wohlauf waren, und vage Mitteilungen über seine Fortschritte beim Fluchtplan zu machen. Sein letzter Anruf kam um halb eins. »Jetzt rufe ich heute Nacht nicht mehr an.«, sagte er. »Sie brauchen Ihren Schlaf für die schweren Tage, die auf Sie zukommen. Schlafen Sie jetzt, ich werde morgen früh wieder mit Ihnen sprechen.«
Mahtab und ich schoben die Hälften des unebenen Sofas zusammen und verbrachten die nächsten Stunden zum Teil betend, zum Teil damit, uns unruhig hin und her zu wälzen. Mahtab gelang es, einzunicken, aber ich blieb wach, bis sich die Morgendämmerung langsam im Zimmer ausbreitete, und da rief auch schon Amahl an, um zu sagen, dass er jetzt käme. Er traf gegen sieben Uhr ein und brachte eine volle Picknick-Tasche mit Brot, Schafskäse, Tomaten, Gurken, Eiern und Milch mit. Er hatte Malbücher und Buntstifte für Mahtab dabei und den Plastikbeutel mit Ersatzkleidern und Erinnerungsstücken, den ich am Dienstag in seinem Büro abgeliefert hatte. Und er überreichte mir eine teure Ledertasche mit Schulterriemen - als Abschiedsgeschenk.
»Ich habe die ganze Nacht gearbeitet und mit allen möglichen Leuten gesprochen.«, sagte er. »Der Plan sieht so aus, dass Sie über die Türkei fliehen werden.« Die Türkei! Ich bekam einen Schreck. Ein Flug nach Bandar Abbas und eine Bootsfahrt über den Persischen Golf - ein Flug nach Zahidan und anschließend nach Pakistan geschmuggelt werden, ein Flug nach Tokio mit einem geliehenen Pass - das waren unsere machbaren Alternativen. Die Türkei war immer Amahls letzter Ausweg gewesen. Er hatte mir erzählt, dass eine Flucht über die Türkei nicht nur körperlich am anstrengendsten, sondern durch die daran beteiligten Menschen auch am riskantesten war.
»Da Sie nun als vermisst gelten, können Sie nicht über den Flughafen ausreisen.«, erklärte er. »Sie müssen Teheran im Auto verlassen. Bis zur türkischen Grenze ist es eine lange Fahrt, aber es ist immer noch die nächste Grenze.« Er traf gerade noch Vorbereitungen, dass uns jemand nach Tabnz in den nordwestlichen Teil des Irans fahren sollte, und dann weiter nach Westen, wo wir in einer Ambulanz des Roten Kreuzes über die Grenze geschmuggelt werden würden. »Sie haben dreißigtausend US-Dollar verlangt.«, sagte Amahl. »Das ist zu viel. Ich bin dabei, sie runterzuhandeln. Ich habe sie jetzt bei fünfzehn, aber das ist immer noch zu viel.« »Das ist in Ordnung, schlagen Sie ein.«, sagte ich. Ich wusste wirklich nicht, wie viel Geld wir noch auf den Konten daheim hatten, aber das war mir egal. Ich würde schon irgendwie und irgendwann das Geld zusammenbekommen. Amahl schüttelte mit dem Kopf. »Es ist immer noch zu viel. «, sagte er. Plötzlich wurde mir klar, dass wir über Amahls Geld sprachen und nicht über meins. Er musste es vorerst bezahlen, ohne jede Garantie dafür, dass ich in Amerika ankam und es zurückerstatten würde. »Ich werde versuchen, sie zu drücken.«, sagte er. »Heute habe ich viel zu tun. Wenn Sie etwas brauchen, rufen Sie mich im Büro an.« Mahtab und ich verbrachten einen spannungsgeladenen Tag mit gemeinsamem Herumsitzen, Reden, Beten. Von Zeit zu Zeit nahm sie eins der Malbücher in die Hand, aber ihre Aufmerksamkeit war nur von geringer Dauer. Ich marschierte aufgewühlt auf den abgenutzten persischen Teppichen auf und ab, und meine Stimmung schwankte zwischen Angst und freudiger Erregung. War ich egoistisch? Setzte ich das Leben meiner Tochter aufs Spiel? So schlimm es auch war, wäre es nicht besser, hier mit mir oder ohne mich
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